Wie trinkfest müssen Politiker sein?
Von Martina Salomon
Im Rauch- und Rauschland Österreich gilt als verdächtig, wer kaum Alkohol trinkt und nicht raucht.
über das Misstrauen gegenüber Sebastian Kurz.
Sebastian Kurz sei ein "irritierender junger Mann, der kaum Alkohol trinkt, nicht raucht und auch keinen Kaffee trinkt". So oder ähnlich soll Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei einem Botschaftertreffen geredet haben. Selbst wenn, wie ein Diplomat gegenüber dem KURIER meinte, gar nicht das Wort "irritierend", sondern "bescheiden" gefallen ist, entbehrt das kolportierte Statement nicht einer gewissen Tragikomik.
Ja, in Österreich ist es wohl verdächtig, wenn ein Berufspolitiker weder raucht noch dem Alkohol übermäßig zuspricht. Genussmittelkonsum gehört zur politischen Folklore. So wurde die Trinkfestigkeit des damaligen Außenministers Leopold Figl zur Legende, weil er in Moskau mit den trinkfreudigen Sowjets mitgebechert hat und so deren Zustimmung zum Staatsvertrag heimgebracht hat – schöne Geschichte, aber historische "fake news".
Angesichts der heimischen Weinseligkeit brauchen wir uns aber nicht wundern, dass uns gerade der neueste OECD-Gesundheitsbericht um die Ohren fliegt. Österreich gilt als Rauch- und Rausch-Land. Dem können wir nur hoch erhobenen Hauptes entgegnen: Entschuldigung, das missfällt ja nicht einmal unserem Bundespräsidenten, über dessen Wahl es international doch einen riesigen Seufzer der Erleichterung gab! Gibt Van der Bellen dem blauen Frontmann womöglich gerade heimliche Rauchzeichen? Immerhin eint die beiden die Nikotinsucht. Nach dem Motto: Lasst uns doch eine freiheitli... äh freie Gesellschaft sein, und überlasst es den Wirten, wo geraucht werden darf und wo nicht! Und ist nicht Strache im besten Mannesalter, jedenfalls kein allzu junger Mann mehr?
Schmerzhaft entmachtet
Scherz beiseite: Muss man zwingend älter als 35 sein, um reif für gesellschaftliche Aufgaben zu sein? Betrachtet man historische Größen, eher nicht: Alexander der Große starb mit 33, Kaiser Franz Joseph wurde schon mit 18 Kaiser. Der Maler Egon Schiele hat vor seinem frühen Tod mit 28 Jahren künstlerische Maßstäbe gesetzt. Aber für ältere Herren ist es wohl besonders bitter, von der übernächsten Generation entmachtet zu werden. Wäre das mit einer ehrgeizigen jungen Frau einfacher? Zumindest könnten Männer dann leichter den gönnerhaften Gentleman herauskehren.
Kurz ist ein neuer Typus als ÖVP-Parteichef. Er hört aufmerksam zu, wirkt aber dennoch distanziert. In der Wahl hat er sich als guter (aber keineswegs genialer) Stratege erwiesen. Inhaltlich hat er noch nicht wirklich Profil gezeigt, gut möglich, dass er sich bald entzaubert. Vielleicht wird dieses Koalitionsabkommen nicht der große Wurf, vielleicht verändert der neue Chef die Partei zu radikal oder zu wenig (je nachdem wird man ihn als Diktator oder als Softie kritisieren). Vielleicht funktioniert es mit den Blauen nicht. Vielleicht hat sich Kurz doch von zu vielen Alten, Erfahrenen getrennt und zu sehr auf seine Prätorianer-Garde gesetzt: All das kann und wird man dem bescheidenen/irritierenden Politiker irgendwann einmal vorwerfen.
Aber es ist schon interessant, wie viele Aggressionen er seit vielen Jahren durch seine Jugend auslöst. Und jetzt setzt er mit seinem Abstinenzlertum noch eins drauf, wird außerdem in einem stadtbekannten Fitnesszentrum gesehen. Das geht in der Genuss- und Pofel-Region Österreich freilich nicht.