Wie toll war die gute alte Selbstversorgerzeit?
Von Martina Salomon
Zur Rettung der Welt vor den bösen Konzernen taugt das Selbstversorgermodell nicht.
über die Sehnsucht nach dem Mittelalter
Wir essen regional, wir essen bio, wir essen gentechnikfrei. Wunderbar, im glücklichen Österreich in einem der reichsten Weltteile können wir uns das leisten. Lasst uns bitte dennoch nicht ganz den Sinn für die Wirklichkeit verlieren. Denn die romantische Verklärung einer Zeit, die nie romantisch war, treibt immer seltsamere Blüten.
Wie schön, wenn man daheim eigene Kräuter, eigene Paradeiser ziehen kann – vor allem für Familien mit Kindern. Schließlich sollen sie lernen, dass das Gemüse nicht folienverpackt im Supermarkt wächst und was man aus einer (über-)reichen Zucchini-Ernte alles kochen kann.
Aber zur Rettung der Welt vor den "bösen" Konzernen taugt dieses Selbstversorgermodell freilich nicht. Wer ernsthaft Sehnsucht danach hat, vergisst, dass genau diese Subsistenzwirtschaft in Afrika (und früher auch bei uns) Abhängigkeit von Wetterkapriolen und damit Missernten, Hunger und hohe Kindersterblichkeit bringt.
Erst die arbeitsteilige Gesellschaft und der Handel haben breiten Wohlstand ermöglicht. Nur das zu essen, was das eigene Feld und der Vorrat im Keller hergeben, hieße Beschränkung auf Kohl, Kraut, Rüben und Eingemachtes im Winter.
Wäre der europäische Markt tatsächlich abgeschlossen geblieben, hätten wir nicht einmal die Kartoffel, die Christoph Kolumbus aus Amerika mitgebracht hat. Dabei war der Anbau der lagerfähigen Knolle eine der wirkungsvollsten Maßnahmen gegen schreckliche Hungersnöte.
Österreichs Wohlstand – das wird von den wackeren Anti-Globalisierungs- und Anti-TTIP-Kämpfern gerne vergessen – fußt vor allem darauf, ein exportorientiertes Land zu sein. Sechs von zehn Euro werden durch Export erwirtschaftet. Wir verkaufen auf den internationalen Märkten sehr erfolgreich Maschinen, Stahl und Hightech für die Automobilindustrie, ja sogar für die Raumfahrt. Ist es nicht logisch, dass wir umgekehrt unseren Markt nicht gegen ausländische Produkte abschotten können?
Auch Lebensmittel aus Österreich – immerhin Bio-Europameister! – finden in anderen Ländern Anklang. Unsere Gentechnikfreiheit füllt eine Marktlücke, weil es international auch noch andere reiche, besorgte Konsumenten gibt. Gut für uns, auch wenn bisher kein einziger Experte je eine Gesundheitsgefährdung durch gentechnisch veränderte Pflanzen entdecken konnte (und der Welthunger wohl nur damit bekämpft werden kann).
"Ja, natürlich" ist es gut, wenn die Konsumenten vermehrt auf Regionalität, Saisonalität sowie faire Preise für die Bauern achten. Irgendwann einmal erkennen sie hoffentlich auch, dass das Ablaufdatum nur ein Richtwert ist, aber keineswegs ein Stichtag, der ein Lebensmittel zu Abfall stempelt.
"Zurück zum Ursprung" sollte aber nicht bedeuten, dass wir uns ernsthaft in vormittelalterliche Zeiten zurückwünschen.