Meinung

Wie rot soll die Linie noch werden?

Einmal mehr agiert der Westen hilflos.

Mag. Ingrid Steiner-Gashi
über den Bürgerkrieg in Syrien

Wenn langgediente Redakteure dieser Zeitung beim Anblick der jüngsten Bilder aus Syrien in Tränen ausbrechen – Bilder, die wir wegen ihrer unfassbaren Schrecklichkeit nicht abgedruckt haben – , hat das Ausmaß der Gräuel im syrischen Bürgerkrieg ein noch nie da gewesenes Ausmaß angenommen. Mögen es Hunderte Tote gewesen sein oder mehr als Tausend, wie die syrische Opposition beklagt – jedes einzelne Opfer des verheerenden Giftgasangriffes vom Mittwoch war ein Opfer zu viel.

Was, wenn nicht dieses jüngste Massaker, stellt die „rote Linie“ dar? Jene Grenze, die Syriens Regime keinesfalls überschreiten darf, ohne schwer sanktioniert zu werden, wie US-Präsident Obama vor genau einem Jahr angedroht hatte. Noch ist nicht bewiesen, dass Syriens Machthaber Bashar al-Assad und seine Armeeführung für den Giftgasangriff verantwortlich sind – auch wenn einige westliche Militärgeheimdienstquellen bereits davon ausgehen. Und eine rasche Untersuchung des Massakers durch UNO-Experten scheint in weiter Ferne, solange die UNO-Vetomacht Russland wieder einmal alles blockiert, was das mit ihr verbündete syrische Regime gefährden könnte.

Diktator Assad hat also weiterhin wenig zu befürchten, schon gar kein militärisches Eingreifen, das seiner Armee Einhalt gebieten würde. Ohnmächtig, hilflos und gespalten steht die Internationale Gemeinschaft wieder einmal den Gräueln in Syrien gegenüber – ebenso wie den jüngsten Ereignissen in Ägypten, Tunesien und Libyen. Eine böse Erkenntnis für Millionen Syrer: Assad hat freie Hand, und wie in den vergangenen zwei Jahren oft bewiesen, überhaupt keine Skrupel, diese Freiheit auch todbringend einzusetzen.