Wenn Eisenbahner Politik machen
Heute zur Mittagszeit legen die Eisenbahner die Arbeit nieder. Ein sorgsam ausgewählter Zeitpunkt. Die Pendler werden nicht verärgert, die Arbeitgeber aber dennoch unter Druck gesetzt. Rund fünf Prozent mehr Lohn – so ist zu hören – fordert die Gewerkschaft. Die Metaller haben es in der Vorwoche mit 3,4 Prozent deutlich billiger gegeben. So wird der Eindruck erweckt, dass hinter dem Streik mehr als nur die Forderung nach einer kräftigen Lohnerhöhung steckt.
Die Gewerkschaft hatte vor dem Sommer der Regierung im Rahmen der Einführung des Zwölf-Stunden-Tages einen heißen Herbst angekündigt. Dieses Versprechen will man nun offenbar spät, aber doch noch einlösen. Auch, um der SPÖ und ihrer neuen Chefin ein wenig unter die Arme zu greifen. Die Reihen sind weder in der Gewerkschaft noch in der Partei geschlossen, Protestaktionen können in dieser Lage helfen.
Glaubwürdig ist der Streik gerade bei den Eisenbahnern aber nicht unbedingt. Von der neuen Zwölf-Stunden-Regelung sind sie kaum betroffen, denn schon seit 2013 kann die tägliche Arbeitszeit sogar 15 Stunden ausmachen. Dem damaligen ÖBB-Chef Christian Kern kam dies als Arbeitgeber durchaus entgegen.
Trotz dieser langen Arbeitszeiten zählen Eisenbahner noch immer zu den privilegierten Arbeitnehmern im Land. Nicht nur, dass laut Rechnungshof ÖBB-Mitarbeiter im Durchschnitt um vier Jahre früher in Pension gehen als der Rest der Bevölkerung. Ihre Jobs sind vielfach krisenresistent, die Abhängigkeit von der Konjunktur ist enden wollend. Und sie können auch Protestmaßnahmen einfach organisieren. Wann etwa gab es den letzten flächendeckenden Streik im Handel oder Tourismus, wo oft vor allem Frauen zum Mindestlohn werken?