Meinung

USA und EU müssen Erdogan jetzt zügeln

Europa und die USA sind jetzt mehr denn je gefordert zu verhindern, dass der "Sultan" komplett abhebt.

Mag. Walter Friedl
über den Putsch in der Türkei

Er stand mit dem Rücken zur Wand, schaffte wie schon so oft in seinem Leben die Wende und setzte sich letztendlich durch – diesmal gegen Putschisten aus dem Militär. Und wer den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan kennt, der weiß, jetzt, da er durch dieses nächtliche Stahlbad ging, wird er sich als unbesiegbar wähnen und noch härter durchgreifen.

Für die Zukunft des Landes verheißt das nichts Gutes. Schon bisher fuhrwerkte Erdogan am Bosporus nach Belieben. Ließ Gegner und Kritiker ins Gefängnis stecken, darunter viele Journalisten und Intellektuelle, Richter und Staatsanwälte entfernen. Diesen Kurs wird er verschärfen. Im Militär wird er mit eisernem Besen aufräumen. Und in der Kurdenpolitik die Zügel weiter anziehen.

Europa und die USA sind jetzt mehr denn je gefordert zu verhindern, dass der "Sultan" komplett abhebt. Das wird gar nicht leicht sein, zumal sie ihn in dieser historischen Nacht gegen die umstürzlerischen Zellen verbal unterstützten. Doch da hatten sie nur die Wahl zwischen Pest und Cholera: Entweder der Rückfall in die finsteren Zeiten der Militärdiktatur oder sich hinter einen Staatschef stellen, der zwar frei gewählt wurde, sich aber um demokratische Standards immer weniger schert.

Soziale Kluft wird tiefer

Faktum ist: Dieser anachronistisch anmutende und stümperhaft durchgeführte Putschversuch wird den Heroen-Status Erdogans unter seinen Anhängern weiter beflügeln. Deswegen gibt es auch schon massive Verschwörungstheorien, er selbst habe den Umsturz gleichsam in Auftrag gegeben. Beweisen lässt sich das genauso wenig wie der Vorwurf des Präsidenten, die rivalisierende, einst verbündete Gülen-Bewegung stecke dahinter.

Die Spaltung der Türken (auch in Europa) wird sich durch die Ereignisse vertiefen – zwischen den islamischen Anhängern des nun noch stärkeren Mannes vom Bosporus und seinen säkularen Gegnern. Erstere werden samt ihrem Führer gerade jetzt darauf bestehen, eine neue Verfassung mit einem überstarken Präsidenten zu installieren. Es ist die nobelste Aufgabe jedes Staatschefs, Gräben in der Gesellschaft zu überbrücken. Der Egomane Erdogan hatte das nie auf seiner Agenda. Im Gegenteil. Er lebt von der Polarisierung. Und warum soll sich das ausgerechnet jetzt ändern, da er mit neuem Selbstbewusstsein auftreten wird. Die Türkei geht unsicheren Zeiten entgegen.