Sollen Kinder trotz Pandemie in die Schule?
PRO
Schulschließungen helfen, um Infektionszahlen zu senken. So weit, so klar. Die Lernverluste halten sich trotz hoher Belastung in Grenzen. Sollten Kinder deshalb weiterhin zu Hause unterrichtet werden? Ich finde: nein. Sie sollten in die Schule gehen.
Denn die Einschränkungen – so eine aktuelle Analyse von UNICEF – haben sehr wohl weitreichende Folgen für das Wohlbefinden und die Entwicklung junger Menschen. Abgesehen von den offensichtlichen Nachteilen für Kinder, die Zuhause nicht die Möglichkeiten zum Distance Learning (technisch, sozial und räumlich) haben, finde ich, dass durch das Nicht-in-die-Schule-Gehen vor allem zwischenmenschlich, aber auch körperlich, etwas auf der Strecke bleibt. Bewegung ist essenziell für Körper und Geist. Ein Tag im Distance Learning bedeutet für viele Kinder aber auch, dass an diesem Tag nicht hinausgegangen oder Sport gemacht wird.
Der Austausch mit Gleichaltrigen ist wichtig für die Entwicklung. Das wissen nicht nur Psychologinnen. Viele Eltern merken, dass ihren Kindern die sozialen Kontakte fehlen – und treffen andere Familien. Viele testen sich vorher, um sicher zu gehen. Alle? Bestimmt nicht. In der Schule wird zwei- bis dreimal pro Woche getestet. Die Chance, dass eine Infektion bei einem Schulkind festgestellt wird, ist bei offenen Schulen ungleich höher als wenn es zu Hause bleibt, sagt die Statistik. Zusätzlich wird in Wien Familien nahegelegt, regelmäßig die hier kostenlosen PCR-Gurgelproben ins Labor zu schicken.
Lehrpersonal ist großteils geimpft. Viele Risikogruppen ebenfalls. Die Infektionszahlen gehen zurück. Die Fenster können bei wärmerem Wetter offen bleiben. Der Handel hat geöffnet, die Gastronomie demnächst auch… Und wir müssen ernsthaft noch darüber diskutieren, ob Kinder in die Schulen gehen dürfen?
Karoline Krause-Sandner ist Außenpolitik-Redakteurin und Mutter eines Schul- und eines Kindergartenkindes.
CONTRA
Man kennt das von der langen Autofahrt. Man wähnt sich fast am Ziel, ist müde und denkt sich: „Die letzten 30 Minuten schaff’ ich noch“. Dann passiert’s: Ein unaufmerksamer Moment reicht, um einen Unfall zu bauen.
So wie Autofahrern geht es vielen Eltern: Sie haben das Ziel vor Augen und sind vollkommen erschöpft. Da ist die Aussicht, dass die Kinder in die Schule gehen, verlockend. Doch die Gefahr, dass sich Kinder und somit auch die Eltern infizieren, ist nicht so gering – auch wenn in den Klassen mehrmals pro Woche getestet wird. Die Abstandsregeln sind nämlich nicht einzuhalten. Darauf weist die unabhängige Lehrergewerkschaft ÖLI immer wieder hin.
Erkranken Schüler oder Eltern, kann das für Familien dramatisch enden. Zwar haben Kinder und – ihre meist nicht so alten – Eltern ein geringes Risiko, daran zu sterben, doch jeder Zehnte leidet unter den Langzeitfolgen Long Covid, die Monate oder Jahre anhalten können. Für die Betroffenen bedeutet das nicht nur Leid, sondern oft auch weniger Einkommen und weniger Energie, die für die Kinderbetreuung nötig ist. Deshalb ist ein Schulbesuch dort, wo Lehrkräfte und Eltern nicht geimpft sind, riskant. Daran, Mütter und Väter zu priorisieren, die sich in der Familie ja nicht schützen können, denkt in Österreich niemand. Leider.
Und die Kinder, die unter der Isolation leiden? Für sie könnte man Schule im Freien organisieren, wie das innovative Standorte bereits tun. Das würde auch den Kindern ein wenig die Angst nehmen, dass sie sich und ihre geliebten Eltern anstecken. Gleichzeitig sollte man garantieren, dass sich alle Über-Elfjährigen bis zum Herbst impfen lassen können. Bis es so weit ist, sollten Familien nicht gezwungen sein, sich in Gefahr zu bringen. Es wäre doch zu ärgerlich, sich auf den letzten Metern noch anzustecken.
Ute Brühl schreibt im Ressort Lebensart und ist Mutter zweier erwachsener Söhne.