Meinung

Aug’ in Aug’ mit dem Allergrößten

Phelps wirkt nicht großmäulig oder arrogant. Eher bescheiden und nachdenklich.

Florian Plavec
über Schwimmstar Michael Phelps

Wer ist der beste Sportler, den es je gegeben hat? Wer ist der Größte? Boxer Muhammad Ali reklamierte den Titel "The Greatest" für sich. Er hatte nicht ganz unrecht. Mit seinen Erfolgen, seinem Auftreten und seinem Einsatz für die Schwarzen veränderte er die Welt. Oder ist vielleicht ein Zehnkämpfer der beste Sportler, der König der Leichtathleten? Ist es ein Usain Bolt, der schnellste Mann, den es je auf diesem Planeten gegeben hat? Ist es ein Pelé, der 1281 Tore erzielt hat, Brasilien zu drei WM-Titeln schoss und eine ganze Nation stolz machte?

Über diese Fragen lässt sich streiten. Nicht streiten kann man, wenn es darum geht, objektiv messbar den besten Sportler der Geschichte zu finden. Den, der an olympischen Goldmedaillen gemessen wird.

Michael Phelps.

Am Dienstag holte der Schwimmer aus den USA Gold Nummer 20 und 21. Der 31-Jährige ist ein Phänomen und eine Erscheinung, wie ein Besuch im Schwimmstadion von Rio de Janeiro zeigt.

Es ist zugig und kalt in der Halle. Und still. Die Vorläufe über 200 Meter Lagen sind im Laufen. Wenn gerade kein Brasilianer im Becken ist, ist das Plätschern der Schwimmer bis in die obersten Ränge zu hören.

Phelps, ein Phänomen

Doch dann ein kollektiver Aufschrei: Auf der Anzeigetafel leuchtet SEIN Name auf, der Hallensprecher brüllt SEINE Erfolge in das Mikrofon, dann betritt ER die Halle. Als Michael Phelps erscheint, reißt es die Zuschauer von den Sitzen, die Halle wird zum Tollhaus.

Der Schwimmer ist in seine eigene Welt versunken, mit großen Kopfhörern schirmt er sich von der Umgebung ab. Doch dann muss auch er die Kopfhörer abnehmen und den Umhang ausziehen. Er steigt auf den Startsockel und lässt die Arme fliegen. Von ganz oben schaut er gar nicht so eindrucksvoll aus, dieser mächtige Mann mit seinen 1,93 Metern und der Armspannweite von 204 Zentimetern.

Auf die Plätze! Es wird still. Ein Schuss, und die Halle explodiert. Sieben Spitzensportler haben die Ehre, mit dem Besten, den es je gegeben hat, ins Wasser zu springen. Nach der ersten Wende führt der Brasilianer Thiago Pereira. Auf der Pressetribüne schreien die brasilianischen Kollegen. Pereira ist auch nach der zweiten und der dritten Wende vorne. Die Zuschauer brüllen und trampeln. Fast scheint es, als würde Phelps dem Brasilianer den Vortritt lassen, doch das Rennen ist zu eng. Ein paar schnelle Armzüge, Phelps gewinnt den Lauf.

Bescheiden & nachdenklich

High-Five mit dem Konkurrenten, Phelps steigt aus dem Wasser, ein Wink ins Publikum, ein zweiter Wink in die Kamera. Oben springen die Reporter auf, es beginnt der Sprint in die Interview-Zone, die zwei Stockwerke tiefer liegt.

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Nach kurzer Zeit taucht Phelps wirklich auf, er wirkt viel größer als noch vor fünf Minuten. 40 Journalisten drängen sich vor der Absperrung. Phelps’ Stimme wird über einen Lautsprecher verstärkt. Auch dort stehen Journalisten mit ihren Aufnahmegeräten. Phelps wirkt nicht großmäulig oder arrogant. Eher bescheiden und nachdenklich. Er hört den Fragenden zu, überlegt kurz und gibt dann Antworten wie: "Ein letztes Mal geht es schon noch", oder: "Ich bin dankbar, in dieser Situation zu sein."

Phelps lässt sich Zeit. Es ergibt sich die einmalige Chance, mit dem besten Sportler der Geschichte zu sprechen. Doch was jemand fragen, dem schon jede Frage gestellt wurde? In der Eile fällt mir nur ein: "How was the water?" Ich traue mich nicht, die Frage zu stellen.