Normal is des nimmer
Von Barbara Kaufmann
Hitze statt Hetze. Das wäre doch ein guter Themenwechsel.
über Freundlichkeit
Es ist heiß in Wien. Die Straße vor meinem Wohnhaus wird ausgerechnet jetzt neu asphaltiert. Da stehen die Männer mit ihren orangen Westen in der prallen Sonne und schaufeln dampfende schwarze Masse von einem Bagger. Beim Vorbeigehen frag ich einen von ihnen, wie er das aushält – bei den Temperaturen. Er lacht verlegen. „Sie sind heut schon die fünfte, die das fragt. Es geht schon.“ Die Dame aus dem Schmuckgeschäft hätte ihnen sogar eine Flasche Wasser gebracht. So viel Freundlichkeit und Mitgefühl, merkt man, sind die Arbeiter gar nicht gewöhnt. In der Apotheke ein paar Schritte weiter wird ein Pensionist versorgt, dem die Hitze zusetzt. Ihm ist schwindlig geworden. Die Apothekerin gibt ihm ein Glas Wasser, zwei andere Kunden helfen ihm vorsichtig auf einen Sessel.
Niemand murrt
Im Drogeriemarkt über der Straße beginnt das Baby einer jungen Frau vor mir an der Kasse zu schreien, weil sie es in den Kinderwagen setzen will, um zahlen zu können. „Setzen’S es derweil zu mir“, sagt da die Verkäuferin. Wenig später sitzt der kleine Mann auf der silbernen Ablagefläche neben der Bankomatkasse und sieht sich neugierig um. Die junge Frau zahlt in Ruhe, packt Windeln und Babynahrung ein und obwohl es etwas dauert, murrt niemand. In der Schlange hinter mir sind nur müde lächelnde Gesichter zu sehen. Ein seltener Anblick an einer Kasse in Wien. Die Hitze scheint das Beste aus den Menschen hervor zu holen. Selbst hier in der Großstadt, in der man sonst oft genug nicht auf den anderen schaut, schnell weiter seiner Wege geht, möglichst anonym bleibt. Vor dem Drogeriemarkt spricht mich ein Mann an, circa 80 Jahre alt, der besorgt Richtung Himmel blickt. „Normal“, sagt er kopfschüttelnd „is des nimmer.“ Die Hitze erzeugt ein unbehagliches Gefühl. Nicht nur körperlich bei all den Menschen, die in unklimatisierten Gebäuden oder draußen arbeiten müssen. „Hitzefrei“ ist noch immer ein Fremdwort hierzulande, außer vielleicht, wenn es um die Fiaker in Wien geht. Wird es das auch für unsere Kinder bleiben? Und Ihre Kinder? Mit Sicherheit nicht, sagen Klimaforscher.
Es ist kompliziert
Und wieder dieses Unbehagen. Ja, ich weiß, man soll das Wetter nicht mit dem Klima verwechseln. Ein zu warmer Winter oder eine Hitzewelle im Sommer macht noch keinen Klimawandel, wie Experten immer wieder betonen, wenn sie ihre Stimmen gegen reißerische Schlagzeilen erheben, die beides miteinander gleichsetzen. Gleichzeitig kann niemand, der imstande ist Zahlen zu lesen, leugnen, dass es wärmer wird auf der Erde. Auch das sagen die Experten. Es ist eben kompliziert. Vielleicht liegt es ja daran, dass das Thema Klimaschutz selbst an heißen Tagen noch immer so viele kalt lässt. Dass es politisch und medial höchstens am Rande vorkommt. Wenn überhaupt. Warum werden Spitzenpolitiker, die sich zur Wahl stellen, sobald sie das Wort „Zukunft“ in den Mund nehmen, nicht automatisch nach ihren klimapolitischen Konzepten gefragt? Warum gibt es nicht mehr mediale Aufklärungskampagnen, die dem Einzelnen zeigen, dass es sehr wohl auf ihn ankommt? Dass viele kleine Schritte einen großen ökologischen Fußabdruck verhindern können? Hitze statt Hetze. Das wäre doch ein guter Themenwechsel.