Meinung

Nadelstiche statt Sacharbeit

Die Anti-"Nazi"-Strategie geht vielleicht noch ein drittes Mal auf.

Dr. Martina Salomon
über Wahlkampf statt Sacharbeit

Elf Monate quälender Wahlkampf liegen hinter uns. Aber das vom gewählten Präsidenten danach eingemahnte Aufeinander-Zugehen ist blitzschnell verhallt. Denn die SPÖ will offenbar den Schwung aus ihrem "Sieg " gleich in den nächsten Wahlkampf mitnehmen und lässt den roten Verteidigungsminister auf den schwarzen Innenminister losgehen. Bisher waren die beiden sozusagen "ziemlich beste Freunde" – eine Allianz, die abseits aller Koalitionsgehässigkeiten funktionierte. Mögliche rote Strategie: Die FPÖ ist mit Wundenlecken beschäftigt, die ÖVP hat sich selbst aufgegeben. Und keiner schaut mehr auf die innerparteilichen roten Bruchlinien. Wenn man jetzt die ÖVP mit Nadelstichen zum Koalitionsbruch bringt, hat Christian Kern eine Chance, Erster vor den Blauen zu werden. Die Anti-"Nazi"-Strategie geht vielleicht noch ein drittes Mal auf. Danach werden die Koalitionskarten neu gemischt.

Aber sollte man das kommende Jahr nicht besser für Sacharbeit nutzen? Es gibt genug zu tun, dafür reicht ein kurzer Blick auf die jüngsten Meldungen. Stichwort PISA-Studie. Ein Drittel aller 15- bis 16-jährigen Schüler ist zumindest in einem getesteten Fach "Risikoschüler". Ist das die Erfolgsbilanz der teuren "Neuen Mittelschule"? In Wahrheit sollten wir viel intensiver über Lehrerauswahl, Unterrichtsinhalte und -methodik nachdenken. Und auch darüber, wie bei den unzweifelhaft großen Erfolgen Österreichs bei Lehrlingsolympiaden neben den "Manuels" auch die "Mohammeds" aufs Stockerl kommen könnten.

Populistisch statt strategisch durchdacht

Kein Ruhmesblatt war auch, dass die Regierung einen "Pensionshunderter" für alle gegen die Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Bauern abtauschte. "Kuhhandel", schimpft der Finanzminister zu Recht. Aber warum hat er nicht "Nein" gesagt (oder wäre als radikale Konsequenz sogar zurückgetreten)? Aber das sind nur Nebenfronten. Es wird kein Weg an einem späteren Pensionsantrittsalter vorbeiführen. Parallel dazu muss ein Arbeitsmarkt für Ältere aufgebaut werden. Plus mehr private Pensionsvorsorge. Österreich zählt laut einer neuen OECD-Studie zu den Schlusslichtern. Mit der Steuerreform wurde unklugerweise auch noch die steuerliche Absetzbarkeit der Vorsorge abgeschafft.

Klar, Eigenverantwortung hält man in Österreich für "neoliberal". Dazu kommen teils steinzeitliche Arbeitszeitregelungen, zu geringe Investitionsbereitschaft der Firmen und ein schwächlicher Kapitalmarkt. Aber das ist ein Tabu-Thema, genauso wie die Frage, ob es in Österreich nicht zu hohe Anreize für Nicht-Arbeit gibt.

Was aber am schmerzhaftesten fehlt, ist ein überparteilicher Konsens, unpopuläre Maßnahmen gemeinsam durchzutragen. Stattdessen stellt man für einen kleinen taktischen Vorteil den politischen Partner/Gegner an den Pranger. Alexander Van der Bellen, der grün-rot-pink-teilschwarz-unterstützte Präsident, hätte die Autorität, hier einzugreifen. Zumindest theoretisch.