Was wir längst vergessen haben
Von Laila Docekal
Mit einem Kleinkind an der Seite rücken plötzlich Dinge wieder in den Vordergrund, die man schon lange nicht mehr wirklich wahrgenommen hat. Zum Beispiel beim Spazierengehen: Während der erwachsene Blick dieser Tage über das herrlich herbstliche Panorama schweift, entdecken Kinderaugen ganze Welten im Laub zu unseren Füßen.
Da warten witzig aussehende Eicheln, Blätter in allen Farben und Formen, doch die größte Anziehungskraft haben die glänzend glatten Kastanien. Manche sind noch in ihrer stacheligen Schale und können behutsam mit dem Schuh herausgedrückt werden. Kaum etwas ist vergleichbar mit dem Gefühl, in eine Tasche voll Kastanien zu greifen – und weckt sofort Erinnerungen an die eigene Kindheit. Manches ändert sich nie: Auch da wurden die Früchte haufenweise zu Tieren, Männchen und zu Ketten verarbeitet.
Der Anblick der Rosskastanie ist uns so vertraut, kaum jemand käme auf die Idee, dass der Baum eigentlich nicht bei uns heimisch war. Erst die Türken brachten sie um 1570 vom Balkan bis nach Wien und prägten wohl auch ihren Namen: Sie sollen hustende Pferde damit behandelt haben. Während der Konsum der Früchte für uns Menschen schwach giftig ist, wird die entzündungshemmende und gefäßverstärkende Wirkung gerne für Arzneipräparate genutzt.
Außerdem entdecken Umweltbewusste die Frucht zunehmend als Waschmittel-Ersatz – immerhin ist sie gratis, geruchsneutral und sehr hautverträglich. Online finden sich etliche Anleitungen, wie aus Kastanien Seifenlauge gewonnen wird, die das Wasser weich und die Wäsche sauber macht. Schon fünf bis zehn Stück reichen für einen Waschgang.
Manchmal lohnt es sich, den Schätzen vor den eigenen Füßen mehr Beachtung zu schenken.