Meinung/Mein Tag

Lektion 4: Wer in England etwas erleben will, muss früh aufstehen

Es hätte mich stutzig machen sollen, dass der britische Partner, der am Wochenende bis Mittag schlafen könnte, um 7.30 Uhr in Sneakers und dünner Jacke an der Eingangstür steht. Wieso die Eile? Das Ausflugsziel – ein Herrenhaus – ist doch bloß eine Autostunde entfernt. „Aber sie haben Sonne angesagt. Den ganzen Tag.“ Eben. Grund für ein entspanntes Frühstück, erwidere ich und löffle in Ruhe mein weiches Ei. „Alle. Werden. Im. Auto. Sein.“ Ach, Blödsinn!

Rotes Schild

Dass wir dann 45, nicht 15 Minuten brauchen, um zur Autobahn zu kommen, muss an der großen Baustelle liegen. Nicht daran, dass ungewöhnlich viele Menschen mit Sonnenbrille und kurzem T-Shirt – trägt da jemand sogar ein Bikinioberteil?! – den ersten milden Wochenendtag des Jahres feiern.

Dann leuchtet es uns ins Gesicht. Rot blinkend und von einem Fahrverbotskreis umgeben: 40! Geschwindigkeit reduzieren. Die Augenbrauen des Partners sind mittlerweile am Kopf festgefroren. Eskalationsstufe 4 im britischen Konfliktverständnis.

Und dann ist es aus. Wir kriechen nicht, wir rollen nicht. Wir stehen. Auf der Autobahn. 20 Minuten und dann 50 und dann eine Stunde. Im Radio erfahren wir, dass sie wegen eines Unfalls die gesamte Autobahn gesperrt haben. Die Autos stehen in feinen Reihen. Das kann nur in einem Land funktionieren, in der sich die Bewohner selbst an jeder Bushaltestelle konfliktfrei anstellen. Keiner hupt, keiner blinkt, keiner flucht. Nur mein Freund schnaubt. Eskalationsstufe 6,5.

Grün hinter den Ohren. 

In schmerzhafter Langsamkeit schaffen wir es von der Autobahn. Umkehren? Keine Option. Also wählen wir die holprigen, zu engen Landstraßen – wie offenbar alle Autos in Südengland. Und landen endlich am Herrenhaus. Doch dort ist die Tür zu.

Der letzte Einlass war um 14 Uhr.