Meinung

Lob des analogen Lebens

Sie können von Glück reden, wenn Ihr Ehepartner noch mit Ihnen und nicht nur mit "Siri" spricht.

Dr. Martina Salomon
über die Komplikationen der digitalen Gesellschaft.

Macht sich die neue Regierung – welche auch immer – genügend Gedanken über die Digitalisierung, fragten wir uns kürzlich sorgenvoll in der Redaktionskonferenz. Aber macht sich das digitale Zeitalter auch Gedanken über uns, die Konsumenten? Eher nicht so sehr.

So hören wir seit Jahren, dass der Kühlschrank bald selbstständig Milch und Eier nachbestellen wird. Dabei würde es uns schon reichen, wenn sich die Uhr am Herd automatisch auf die Sommerzeit umstellen würde (könnte die alljährliche Suche nach der Gebrauchsanleitung ersparen).

Und, ja, der Gedanke, dass Autos bald eigenständig fahren werden, stimmt nicht nur froh. Den Blechsalat, der bei einem Server-Ausfall entsteht, wollen wir uns nämlich lieber nicht ausmalen. Und wenn das autonome Fahren in etwa so "unkompliziert" klappt, wie am PC online ein ÖBB-Ticket zu kaufen, dann wird sich die Karre ohnehin nur mit Mühe in Gang setzen lassen. Derzeit erfüllen die meisten Autos ja nicht einmal Minimalanforderungen, sprich: Platz fürs Mobiltelefon, oder gar eine Ablage für CDs. Ok, die wird es auch bald nicht mehr geben, weil wir Musik nur noch "streamen" sollen. Hätte die Industrie nicht so tief geschlafen, könnten längst alle Autos, was jedes Smartphone kann: das Navi automatisch – und gratis – updaten.

Dafür können Sie von Glück reden, wenn Ihr Ehepartner noch mit Ihnen und nicht nur mit "Siri" oder "Alexa" spricht. (Immerhin: Die kann man widerspruchslos rumkommandieren und verstehen sie nicht, geben sie schweigend auf.)

Täuscht der Eindruck, oder wird derzeit tatsächlich jedes auch noch so banale Alltagsgerät unnötig kompliziert? Es ist noch nicht so lange her, da konnte man in jedem fremden Haushalt mühelos den Herd in Gang setzen – jetzt plagen Sie sich mit dem Touch-System und scheitern daran, sich ein simples, weiches Ei zu kochen. Die modernen Lichtschalter wiederum haben uns komplizierte "Bus-Systeme" gebracht: Man knipst also mindestens drei falsche Lampen an, bevor man die richtige findet, oder im Dunkeln am Klo herumtappst.

Rätselrallye zum WC

Ein moderner Wasserhahn im Restaurant-WC ist meist sowieso eine Wissenschaft für sich, hier toben sich die Architekten nämlich so richtig (sinnlos) aus: Wo bitte ist die Lichtschranke, die das Wasser zum Fließen bringt, und wo sprudelt es raus? Hilfreiche Wirte wie das Café Landtmann in Wien schreiben gleich per Hand auf den Spiegel, wie das gefinkelte Doppelsystem – Waschen und Händetrocken – funktioniert. In besonders coolen Lokalen ist eine Rätselrallye zu bestehen: Was ist jetzt für Männlein, was für Weiblein gedacht? "Q" – ha, das kann nur für "Queen" stehen. Ein Glück, wenn es nicht pressiert.

Menschen, die oft im Hotel übernachten (müssen), sind zu bemitleiden: Wo, zum Teufel, kann man die Klimaanlage abdrehen, wie bedient man die Dusche, und warum muss neuerdings sogar das Vorhangzuziehen elektrisch funktionieren? Die versinkende analoge Gesellschaft hat schon Vorteile!

Gnade uns Gott, wenn auch noch der Journalismus durch Algorithmen ersetzt wird. Ups, gibt’s schon längst? Liebe Leserinnen und Leser, versprochen, der KURIER ist keine Content Engine und Salomon kein Roboter. Stimmt’s Alexa?