Leichtfertiges Spiel mit dem Frieden
Von Andreas Schwarz
Und ich wandre aus den Mauern / Bis hinaus ins freie Feld / Hehres Glänzen, heil’ges Schauern! / Wie so weit und still die Welt! Joseph von Eichendorff Still die Welt? Weit ja. Aber still, gar friedlich außerhalb der Mauern, wie es in einem der Weihnachtstexte heißt, die wir im heutigen KURIER quer über die Seiten verstreut haben – zur Entschleunigung, zum Innehalten, zum Besinnen auf morgen und die Festtage?
Über die fehlende Stille in der Vorweihnachtszeit wird gerne geklagt. Das Lamento ist alljährliches mediales Versatzstück, in das der Handel (Minus im Weihnachtsgeschäft) und der Konsument (Einkauf-, Vorbereitungs-, Beziehungsstress) gerne einfallen. Oder ist es umgekehrt, Henne, Ei im Weihnachtsgewand?
Und friedlich im Sinne von Frieden, politisch betrachtet? In Syrien tobt seit bald acht Jahren Krieg. Unvorstellbare 350.000 Tote und Millionen Flüchtlinge später hat Diktator Assad mit Hilfe Wladimir Putins sein Land wieder in der Hand, mehr oder weniger. Und im Weniger droht nach dem Abzug der Amerikaner den Kurden ein Gemetzel. Im Jemen hat ein Stellvertreterkrieg zu einer humanitären Katastrophe geführt, die man im 21. Jahrhundert menschgemacht gerne für unmöglich gehalten hätte. Und im Osten der Ukraine regiert das Unrecht des Stärkeren.
Hort des Friedens und der Stabilität
Dennoch, zum statistischen Trotz: Noch selten in der Geschichte hat es so wenig Kriegsopfer gegeben wie in der Jetztzeit. Auch die Annahme, dass islamistischer Terror so viel Blutzoll kostet wie noch nie, ist falsch – die Wahrscheinlichkeit, einem Attentat zum Opfer zu fallen, war in den 1970er- und 80er-Jahren (Palästinenser, RAF, Rote Brigaden, IRA) alleine in Europa deutlich höher. Und dieses Europa ist nach zwei Weltkriegen auf seinem Boden seit einem dreiviertel Jahrhundert, mit Ausnahme der Balkan-Kriege, ein Hort des Friedens und der Stabilität.
Für Generationen ist das und der darin erarbeitete Wohlstand zur wohligen Selbstverständlichkeit geworden. Zum Es-kann-nicht-anders-Sein. Und wenn doch?
Der Restzweifel, die subkutane Verlustangst ist Nährboden für jene in Europa, auch in Amerika, die diese Selbstverständlichkeit aufs Spiel setzen. Donald Trump erklärt sich sowie America first und zieht die Weltmacht aus der Welt zurück. Und Populisten ist das Friedensprojekt Europa längst Schnee von gestern, sie wollen Europa zerstören (Scharlatane in Großbritannien hüpften es vor). Sie bekämpfen Etabliertes, schüren Neid und Unsicherheit, die sie dann mit schlichten Parolen und Rezepten befrieden. Sie trennen das Gemeinsame und treiben den Egoismus voran. Ausgrenzen und abwerten, den Fremden, den politischen Gegner, den Andersdenkenden, ist die Devise der Stunde – seht her, nur so lässt sich das, was wir an Wohlstand, Sicherheit und Frieden haben, bewahren.
Das ist wenig glänzend, hehr schon gar nicht. Zu Weihnachten darf man sich wünschen: Raus aus den Mauern, im Handeln und Denken. Frieden geht eigentlich schon per Definition nur gemeinsam. andreas.schwarz