Meinung

Lange verdrängtes Megathema Pflege

Es gibt kein Gut oder Schlecht: Das ist ein Schlüsselsatz im KURIER-Interview mit der Präsidentin des Gesundheits- und Krankenpflegeverbands. Sprich: Es ist individuell extrem unterschiedlich, ob ein pflegebedürftiger alter Mensch in einer Betreuungseinrichtung oder daheim besser aufgehoben ist. Lebt er allein oder im Familienverband? Kann er sich zumindest teilweise selbst versorgen? Leidet er an chronischen oder akuten Erkrankungen? Ist er bettlägrig, aber geistig wach? Oder körperlich aktiv, aber dement (was sich oft auch in Aggression gegen die engsten, pflegenden Angehörigen ausdrückt)? Ist er ein Einzelgänger oder gesellig? Raubt man ihm daher die letzte Freiheit, wenn man ihn in ein Heim übersiedelt? Wie sehr kann er seine eigene Lage noch einschätzen, ist es ein Risiko, ihn allein daheim leben zu lassen?

Der Staat muss einspringen Für die Pflege gibt es leider kein Generalrezept, die Lage ist auch für Angehörige oft schwer einzuschätzen. Weil wir alle viel länger leben werden, nehmen Alterskrankhei ten massiv zu. Weil es nicht mehr selbstverständlich ist, von der (Groß-)Familie aufgefangen zu werden, muss die öffentliche Hand immer häufiger einspringen. Und weil der Staat dabei neuerdings nicht mehr auf das Vermögen der zu Pflegenden zugreift, ist das Interesse an einem Platz im Altersheim sprunghaft gestiegen.

Der Vorschlag zur Abschaffung des Pflegeregresses war ein Wahl-Schachzug der SPÖ gewesen (noch dazu für Besitzende!). Hätte die ÖVP abgelehnt, hätte man ihr „soziale Kälte“ vorgeworfen. Sebastian Kurz wich dieser Falle aus, die schon einmal, bei Wolfgang Schüssel, funktioniert hat. Um ein Finanzierungskonzept kümmerte sich niemand. Nun muss Finanzminister Hartwig Löger die Suppe auslöffeln. Er hat 100 Millionen budgetiert, was wohl zu wenig sein wird. Richtigerweise wird das Thema nun grundlegend besprochen.

Im Grunde ist es wie bei der Bildung: Hier hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Situation fundamental verändert. Alle beteiligten Institutionen – Spitäler, Hausärzte, mobile Dienste, Pflege- und Altenheime, Behörden sowie die Familienangehörigen – müssen künftig noch besser vernetzt werden. Man wird genauer hinschauen müssen, was wo gebraucht wird und wie man es finanziert. Und ziemlich sicher braucht es eine eigene Pflegeversicherung, wenn der Staat nicht mehr auf das Vermögen der Betroffenen zugreifen kann oder will. Das ist bitter, weil es die Lohnabgaben wieder erhöhen wird, wo doch das Gegenteil passieren müsste. Diese Pflegeversicherung hätte man schon viel früher einführen müssen, auch durchaus freiwillig. Wer für seine Pflege im hohen Alter vorsorgt, muss später nicht befürchten, dass der Staat seinen Erben das Vermögen wegnimmt. Natürlich wäre das die gerechteste Lösung. Das Thema wurde lange verdrängt. Wagt die jet zige Regierung – spät, aber doch – so ein Modell? Mit dem Rückenwind ihrer Popularität wäre es zu schaffen.