„Systemfehler“ – die bequemste Ausrede für Bildungsmängel
Von Martina Salomon
Systemfehler – die bequemste Ausrede.
über Bildungsmängel
Aus der vergangene Woche präsentierten Erwachsenen-Bildungsstudie PIAAC lassen sich ein paar nicht ganz bierernst gemeinte Schlüsse ziehen: Zum Beispiel, dass mittelmäßige Lese- und Mathematik-Kenntnisse der Bevölkerung völlig ausreichen, um eine führende Wirtschaftsnation zu sein, siehe Deutschland.
Oder: Schüler, die mit enormem Leistungsdruck zu Höchstleistungen angespornt werden, müssen als Erwachsene nicht unbedingt gescheiter sein als der OECD-Schnitt, ganz im Gegenteil, siehe Südkorea. Und herausragende Testintelligenz schützt nur beschränkt gegen Jugendarbeitslosigkeit, siehe Finnland.
Aber jetzt ganz im Ernst: Dass 17 Prozent der erwachsenen Österreicher nicht ordentlich lesen können und wir auch in Mathe nur wenig über dem OECD-Schnitt liegen, darf man natürlich nicht kleinreden. Aber wie wär’s, wenn man aus den Testergebnissen statt der üblichen Forderungen – mehr Geld, mehr Gesamtschule, gähn! – ein paar naheliegende Schlüsse ziehen würde?
Wer will schon üben?
Lehrer berichten zum Beispiel, dass in der Volksschule das (altmodische?) Üben und Wiederholen unter die Räder der vielen Projekte geraten ist. In den weiterführenden Schulstufen werden dann aber auch die mathematisch Untalentiertesten zu Integral- und Vektorrechnung gezwungen, während sich niemand darum schert, ob sie denn überhaupt die Grundlagen verstanden haben. (Pst, nicht weitersagen: Die vielen Turmrechnungen, die die 50- plus-Generation zur Strafe aufgebrummt bekam, haben die Fähigkeit zum „Kopfrechnen“ außerordentlich unterstützt.)
Wie lange wird nun schon von „Kern- und Erweiterungsstoff“ gefaselt? Setzen wir es um! Das würde ein echtes Kurssystem in der AHS-Oberstufe erfordern. Wer das Zeug zum Einstein hat, aber eine sprachliche Null ist, könnte in den humanistischen Fächern nur „Basics“ lernen, in den vertiefenden naturwissenschaftlichen Kursen aber zum Höhenflug ansetzen. Mathematisch nicht so Interessierte sollten zumindest Prozentrechnen können, aber nicht mit höherer Mathematik gequält werden.
Logisch ist auch: Wenn an manchen Schulen 100 Prozent Kinder mit „Migrationshintergrund“ (und davon 80 Prozent aus sozial schwachen Schichten) sind, die untereinander kaum Deutsch reden, dann scheitert auch das tollste Lehrerteam daran, die schlichtesten Bildungsziele zu erreichen.
Apropos Lehrer: Sie müssen in erster Linie begeisterte Pädagogen sein. Jetzt werden hingegen oft begeisterte Mathematiker oder Germanisten mittelmäßige Lehrer, was hohes Frustrationspotenzial auf allen Seiten birgt.
Nicht zuletzt scheint das heimische System nicht sehr motivationsfördernd zu sein. Wenn ihr nicht lernt, dann … drohen Lehrer. „Na und?“, antworten Jugendliche und finden die Aussicht, von der Mindestsicherung leben zu müssen, gar nicht so schlimm. Hauptsache, davon lässt sich noch ein Handy finanzieren. Schließlich redet man sich in Österreich ohnehin seit geraumer Zeit darauf aus, dass das chancenungerechte Bildungssystem allein schuld an der Misere ist. Offenbar sind mehr Konsequenz und Konsequenzen (auch bei Sozialleistungen) nötig. Nein, niemand will südkoreanische Verhältnisse. Aber das Gegenteil davon ist auch nicht erfolgversprechend, siehe Österreich.