Salomonisch: Gefährliches Image-Tief der Politik
Von Martina Salomon
Aus chinesischer Sicht ist das gar kein schlechtes Signal: Drei Viertel der Österreicher interessieren sich nicht für Politik, behauptet eine neue Studie: Sie langweilt die Wähler. "Mögest du in aufregenden Zeiten leben" gilt ja als alter chinesischer Fluch. In den stark polarisierenden schwarz-blauen Jahren mit EU-Sanktionen und Donnerstag-Demonstrationen waren die Österreicher mehr an Politik interessiert. Aber in Wahrheit sind die Zeiten heute deutlich "aufregender". Nach der Finanzkrise schlägt nun vielen Staaten (und deren Bürgern), die auf Kosten der Zukunft gelebt haben, die Stunde. Gegen wen werden die Anti-Neoliberalismus-Prediger demonstrieren, wenn China die Spielregeln in Europa bestimmt? Das Reich der Mitte investiert derzeit in großem Stil, gilt gar (zu Unrecht) als Retter in der Not hoch verschuldeter Euroländer, die wahrscheinlich gerade in eine Rezession taumeln. In zehn Jahren wird die Europäische Union möglicherweise in zwei Teile zerfallen sein: in eine starke Kernzone und schwächelnde Trabanten. Aber man wird sich selbst in Kerneuropa nicht auf eine stärkere Kooperation bei der Finanz- und Wirtschaftspolitik geeinigt haben - ein Nachteil im internationalen Wettbewerb. Mehr als einheitliche Ladegeräte für Handys durchsetzen (äh, wo bleiben die eigentlich?) und Glühbirnen verbieten, darf die EU-Politik offenbar nicht. Da blockieren die Nationalstaaten. Rechts- und Linkspopulisten, die man im Jahr 2000 noch mit internationalem Bann zu belegen versuchte, bestimmen zunehmend die europäische Politik, ziehen in die Parlamente und zum Teil auch in die Regierungen ein. Klar, die "Altparteien", wie sie einst schon Jörg Haider abfällig bezeichnet hat, sind mit ihren Anflügen von Realismus langweilig. Noch öder ist eine Große Koalition. Und am ödesten ist eine Große Koalition im Dauerwahlkampf. Eigentlich wären jetzt Visionäre gefragt, die in Kauf nehmen, für mutige Reformen kritisiert und abgewählt zu werden. Aber wahrscheinlich war es noch nie schwerer, unerschrockene Menschen für den Politikerberuf zu finden. Das kollektive Desinteresse an Politik entwickelt sich damit zu einem der größten demokratiepolitischen Probleme unserer leider "aufregenden" Zeiten.