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Medizinischer Humbug: Ab wann ist er strafbar?

Diese Woche wurde in Wien unter großem Polizei-Einsatz ein 75-jähriger Chemiker verhaftet, der ein angebliches Krebsmittel entwickelt hat. Es enthält vorwiegend bekannte Pflanzenextrakte, scheint also nicht ernsthaft giftig zu sein. Wäre es das, müsste man nach der Verantwortung der Gesundheitsbehörden fragen, die offenbar Jahrzehnte zugeschaut haben.

Der schrullige Chemiker kämpft seit Jahren um Anerkennung seines Mittels, betrieb in Wien ein Geschäftslokal und hat auch weltweit Kunden gefunden – die manchmal ihre letzte Hoffnung in sein Mittel setzten. Aber es heilt Krebs gar nicht, sagen Mediziner.

Hokuspokus

Die Sache wirft einige interessante Fragen auf: Werden morgen auch die Erzeuger antiblähender Joghurts samt ihrer Werbe-Darstellerinnen verhaftet? Jagen wir ab jetzt die Anbieter von einer Menge Nonsens, der legal in Drogeriemärkten und Apotheken verkauft wird? Sind wir hinter den Homöopathen her, den Bio-Energetikern, Bachblüten-Aposteln, Handauflegern und, und, und? Sie alle versprechen ja Linderung von Leiden oder zumindest ein gesünderes Leben, obwohl es keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür gibt.

Aber hat eigentlich die offizielle Schulmedizin ein Anrecht auf göttliche Weisheit? Hat sie nie geirrt, Todkranke zur Ader gelassen, Röntgenstrahlen unterschätzt? Je mehr man in der Medizin weiß, desto mehr zeigt sich, dass es viele Wege zur Heilung gibt (so reagieren rund 30 Prozent der Patienten positiv auf Placebos). Manches, das mit großem Aufwand behandelt wird, würde vielleicht auch ohne diese Tortur spontan heilen. Experten behaupten, dass höchstens ein Viertel aller medizinischen Therapien wirklich "evidence based", also wissenschaftlich nachgewiesen wirksam sind. Viele Leiden können nur gelindert, nicht geheilt werden, etwa Multiple Sklerose. Ja, es gibt nicht einmal ein echtes Medikament gegen Schnupfen.

Schmaler Grat

Gott sei Dank ist die Medizin in den letzten Jahren von ihrem hohen Podest etwas herabgestiegen, schließlich ist auch der Patient mündiger geworden. Er sucht immer häufiger abseits der Schulmedizin nach Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten seines Leidens – besonders, wenn es sich um eine dramatische Krankheit handelt.

Logisch, dass daran auch eine Menge Scharlatane verdienen. Problematisch wird es aber nur dann, wenn die Behandlung lebensgefährlich oder an Kindern angewandt wird. Und wenn solche Wege nicht als Ergänzung, sondern als Medizin-Ersatz betrachtet werden.

Ab wann und bei wem der Staat einschreiten muss, ist daher eine extrem heikle Frage. Die Justiz behauptet, es seien Patienten gestorben, die das dubiose Krebsmittel einnahmen. Aber sterben nicht auch schulmedizinisch bestversorgte Krebspatienten? Die etablierte Medizin wandelt selbst oft auf einem schmalen Grat. Und da reden wir noch nicht vom Internet, in dem allerhand Grenzgängerisches verkauft wird.

Im Zweifel ist es daher besser, den gesunden Menschenverstand als die Polizei einzuschalten.