Gut in Akutmedizin, schlecht bei Banalem
Von Martina Salomon
Gut in Akutmedizin, schlecht bei Banalem
über das heimische Gesundheitssystem
Sind Menschen an Orten gesünder, wo die Spitals- und Ärztedichte hoch ist? Sind sie kränker, wenn die Krankenversicherungsausgaben pro Kopf geringer sind? Zwei Mal nein. In Großbritannien lebt man ungefähr genauso lang wie in Österreich, obwohl dort etliche Operationen ab einem gewissen Alter nicht mehr bezahlt werden. Und trotz weitaus höherer Ärztedichte und mehr Krankenversicherungsausgaben pro Kopf in der Bundeshauptstadt sind die Tiroler im Schnitt gesünder als die Wiener.
Die Wahrheit ist banal: Frauen leben länger als Männer, Arme kürzer als Reiche, Gebildete länger als Ungebildete. Nichtraucher sterben später als Raucher, und Sportliche bleiben länger gesund als Faule.
Lebensstil ist eben neunzig Prozent der „Miete“. Dennoch erwarten wir wahre Wunder von der Medizin. Wobei, wer in Österreich lebt, ohnehin Glück hat: Erleidet man nicht gerade im hintersten Winkel des Landes einen Herzinfarkt, wird man rasch versorgt. Krebskranke bekommen die modernsten Arzneimittel, und selbst Neunzigjährigen wird eine neue Hüfte eingesetzt. Das heimische Gesundheitssystem ist super bei den ganz großen, teuren Behandlungen, die im Allgemeinen für alle sozialen Schichten gleichermaßen zugänglich sind.
Nicht ganz so gut ist es bei Vorsorge und Rehabilitation, oft auch bei der Diagnose unspezifischer Beschwerden. Bei der Massenabfertigung in Kassenpraxen fehlt die Zeit, um sich damit näher zu befassen. Eher schlecht schaut es bei der Behandlung der Psyche aus, besonders bei Kindern. In Sachen Qualitätssicherung (Hygiene, Fehlermanagement) gibt es oft erschreckende Mängel, und die Ärzteausbildung ist schon lange nicht mehr gut. Ganz schlecht ist die Beteiligung der öffentlichen Hand bei der Zahngesundheit – hier gab es vage Wahlversprechen, das zu ändern.
Schleichende Rationierungen
In den letzten Jahren wurden Gesundheitsleistungen eingeschränkt. Das bedeutet geschlossene Abteilungen und Spitäler, oft auch weniger Personal, längere Wartezeiten und weniger Zeit für Patienten. Die flüchten immer häufiger zu Wahlärzten (deren Zahl stark gestiegen ist) und auf den Milliardenmarkt der Natur- und Alternativmedizin. Dort werden (ansonsten ideologisch abgelehnte) teure Selbstbehalte bezahlt.
Dass beim öffentlichen Gesundheitswesen der Sparstift regiert, ist logisch: Die Ansprüche der Patienten steigen parallel zu den Möglichkeiten des technisch Machbaren. Und je mehr Ärzte, desto mehr werden sie in Anspruch genommen. So gesehen war der (noch) amtierende Gesundheitsminister besser als sein Ruf. Die Kassen konnten ihre Defizite abbauen, dabei half auch die Rekordbeschäftigung. Alois Stögers technokratische Reformen wurden verwirklicht: Eine „Zielsteuerungskommission“ mit allen Beteiligten kümmert sich um die Verteilung der Finanzmittel. Und die elektronische Gesundheitsakte ELGA wurde gegen Ärztewiderstand durchgesetzt – ob sie etwas bringt, weiß man noch nicht.
In den Koalitionsverhandlungen wird man sich nun über Altbekanntes in altbekannten Strukturen den Kopf zerbrechen: Prävention, Behandlung der Psyche, Aufwertung der praktischen Ärzte. Das alles stand noch in jedem Regierungsprogramm. Eine internationale Studie hat uns gerade wieder Bestnoten in Sachen Zufriedenheit mit dem Gesundheitssystem bescheinigt. Subjektiv sind die Patienten zufrieden, objektiv zeigt der Befund des Gesundheitssystems einige Krankheitsherde.