Meinung/Kommentare/Salomonisch

Amerikanische Verhältnisse

Keiner will sie, doch täglich mehr wird sie Realität.

Dr. Martina Salomon
über eine Zwei-Klassengesellschaft

Der weitere Ausbau von Ganztagsschulen verzögert sich. War das nicht früher eines der wichtigsten Ziele der Sozialdemokratie? Die Schule hält mit den gesellschaftlichen Veränderungen, vor allem mit der steigenden Berufstätigkeit von Frauen, kaum Schritt. Wer sein Kind am Nachmittag nicht allein daheim vor dem Computer sitzen lassen will, setzt auf die Großeltern oder arbeitet Teilzeit, was von Arbeitnehmervertretern aber schwerst verteufelt wird. Alternative: Der Nachwuchs geht in eine – meist katholische, sicher aber teure – Privatschule. Die Kirche ist da seit Langem fortschrittlicher als die Politik.

Es dürfte auch ein gutes Geschäft sein, denn die Familien verlieren zunehmend das Vertrauen in die Qualität heimischer Bildungseinrichtungen. So sind die öffentlichen Unis zwar gratis. Doch die Aussicht, in vernünftiger Zeit und ohne Schikanen einen akademischen Abschluss zu erreichen, ist in vielen Fächern äußerst gering.

Wir nähern uns daher langsam "amerikanischen Verhältnissen": Man zieht dem Kind zuliebe in (zu) teure Gegenden mit guten öffentlichen Schulen oder legt viel Geld für Ausbildungskosten auf die Seite. Im Gesundheitswesen wiederum gibt es zwar im Akutfall tatsächlich Spitzenmedizin für jeden, doch Zahnersatz zum Beispiel ist teure Privatsache. Die Politik hat jetzt immerhin die Gratis-Zahnspange für Kinder beschlossen, doch die Verhandlungen mit der Ärztekammer werden sicher noch "lustig".

Autofahren nur für Reiche

Zwei Klassen gibt es auch bei Wohnen und Pensionen. Vor allem in Wien profitieren viele Bürger von quasi eingefrorenen alten Mietverträgen, die man dank eines absurden Mietrechts früher sogar "vererben" konnte. Dazu kommen tollste Pensionsrechte aus Arbeitsverhältnissen in geschützten Bereichen. Man trifft solche Privilegierten auf jeder Gruppenreise in exotische Länder. Währenddessen jobben die Jungen als billige Praktikanten und fallen um Pensionszeiten um. Pech, wenn sie keine Eltern als Sponsor haben.

Interessanterweise wird der Bereich, wo sich die Zweiklassengesellschaft zuletzt am stärksten entwickelt hat, am wenigsten diskutiert: Autofahren (und Parken) ist vor allem in den Städten zum Luxusgut geworden, das sich bald nur mehr "Reiche" leisten können. Während um jede einzelne Mietanhebung ein Riesen-Tamtam gemacht wird, nimmt man die Explosion der Autogebühren relativ gelassen hin. So, als würde es sich nur um Millionärsgattinnen handeln, die sich zum Louis-Vuitton-Laden chauffieren lassen. Aber was ist mit den Installateuren und Maurern, mit Familien, Alten und allen anderen, die nicht aufs Fahrrad umsteigen können oder wollen?

Linz verdoppelte die Parkgebühr heuer, in Wien wurde sie im Jahr davor "nur" um zwei Drittel teurer. Eine halbe Stunde an der Wiener "Laterndlgarage" kostet nun schon einen Euro. Das bringt ein nettes Millionenkörberlgeld für die klammen Stadtkassen und ist auch noch ideologisch gut vermarktbar. Die Menschen sollen ja gefälligst auf umweltfreundliche Öffis umsteigen, auch wenn diese (bis auf die Jahreskarte) gerade teurer werden.

Ja, wir sind ein Wohlfahrtsstaat. Aber irgendetwas funktioniert da nicht mehr so richtig.