Meinung/Kommentare/Innenpolitik

Weniger Heuchelei – ein Wunsch für 2016

Heucheln ist das gebräuchlichste Schmiermittel in internationalen Beziehungen. Nirgendwo ist die Wahrheit häufiger eine "Tochter der Zeit". So ist völlig klar, dass Griechenland niemals in der Lage sein wird, die geborgten Milliarden zurückzuzahlen. Aber der Schein wird aufrechterhalten, weil damit alle Beteiligten ihre griechischen Schuldscheine weiterhin als einbringlich in den Büchern führen können. Auch die Fiktion eines grenzenlosen Schengen-Europas wird weiter geheuchelt, obwohl täglich Zehntausende an der deutsch-österreichischen Grenze wegen der Kontrollen im Stau stehen. Und wenn Angela Merkel ihre Einladepolitik an Flüchtlinge wirklich ernst meinte, dann müsste sie diese direkt aus den Lagern per Flugzeug holen und nicht hinnehmen, dass ein Teil auf der Flucht stirbt.

Jeder weiß auch, dass es in der Türkei enorme Rückschritte in Sachen Menschenrechte gab. Aber über die Türkei führt eine der wichtigsten Transitrouten der Flüchtlinge nach Europa. Die EU ist damit erpressbar geworden und vergisst bei den EU-Beitrittsverhandlungen auf all das, was ansonsten als "europäische Werte" getrommelt wird. Was, die Türkei bekriegt trotzdem ihre kurdischen Staatsbürger und schickt noch immer Zehntausende Migranten weiter? Egal, die Hoffnung lebt.

Bei Russland hingegen gelten die moralischen Ansprüche, die Wirtschaftssanktionen sind aufrecht. Wäre es stattdessen nicht besser, könnten Russland, die USA und Europa ein gemeinsames Syrien-Konzept erarbeiten, statt den Kalten Krieg wieder auferstehen zu lassen (woran auch USA und NATOnicht unbeteiligt waren)?

Braucht Österreich Zuwanderung?

Ein Blick in die österreichischen Niederungen zeigt schnell, dass Heuchelei auch hier kein Fremdwort ist. Während die Politik, um die wackelige Gegenfinanzierung der Steuerreform 2016 zu sichern, derzeit auf Teufel komm raus kleine Unternehmen durch bürokratische Kontrollen ärgert, schaute sie im vergangenen Jahr ohnmächtig zu, wie Hunderttausende Flüchtlinge weitgehend unkontrolliert unser Staatsgebiet durchquerten.

Geheuchelt wird auch von Wirtschaftsforschern, die noch immer behaupten, Österreich brauche Zuwanderung. Wahr ist, dass eine offene Marktwirtschaft natürlich Arbeitskräftemobilität in jede Richtung braucht. Aber Österreich hat einen Arbeitslosen- genauso wie einen Beschäftigtenrekord. Beides hängt mit der starken Zuwanderung aus den neuen osteuropäischen Ländern zusammen. Wien ist davon besonders betroffen. Zusätzliche Migration einer großen Gruppe schlecht oder gar nicht Qualifizierter ist kaum verkraftbar. Wer behauptet, die ganz offensichtlich anhaltende Flüchtlingswelle sei ohne Einschnitte in unsere sozialen Unterstützungssysteme zu bewältigen, verschweigt die Wahrheit.

Die Welt wirkt Anfang 2016 unsicherer als noch vor einem Jahr. Wir haben schleichend Freiheiten aufgeben müssen. Dennoch geht es vielen Österreichern vergleichsweise noch gut. Möge es so bleiben – ganz ohne Heuchelei.