Meinung/Kommentare/Innenpolitik

Der Wutbürger hat noch immer Saison

Nicht jede Empörungslawine ist berechtigt. Neujahrsvorsatz: Weniger Lärm um nichts

Dr. Martina Salomon
über Wutbürger

Eigentlich ist die Weihnachtsferienzeit ja nicht der allerbeste Zeitpunkt, um sich mit etwas auseinanderzusetzen, das der deutsche Philosoph Richard David PrechtPöbelkultur“ nennt. Vielleicht aber doch: Denn diese „Kultur“ hat leider immer Saison. Im Grunde sind wir eine daueraufgeregte Empörungsgesellschaft. Häme ist der Lieblingssport der besserwisserischen Bürger. Wobei auch die Medien – Achtung Selbstkritik – ständig Öl ins Feuer nachgießen. So wurde der vormalige deutsche Bundespräsident Wulff zur Unperson, verlor sein Amt, steht vor Gericht. Von den vielen Anschuldigungen blieb gerade ein Anklagepunkt, dem ein grotesker Prozess um fast nichts folgte. Trotzdem ist der Mann erledigt.

Es stimmt, dass Österreich – im Gegensatz zu Deutschland – viel zu oft Halunkentum toleriert hat. Aber umgekehrt ist nicht jeder, gegen den die Justiz ermittelt, auch wirklich ein Bösewicht. In Wien kann es passieren, dass die Polizei gleich vor Ort mit Vertretern einer Boulevardzeitung aufmarschiert. Die Ermittlungsschritte stehen in „Enthüllungsmedien“ – gelegentlich sogar, ehe der Beschuldigte davon offiziell erfährt. Die Unschuldsvermutung ist zur hämischen Floskel verkommen. Wurscht, denkt sich der Wutbürger, trifft eh nur unsympathische Politiker, Banker und andere Verbrecher. Besonders perfide: Erst wird der Volkszorn mit fetten Schlagzeilen geschürt. Wenn dann nichts von den Anschuldigungen übrig bleibt, verliert sich die Geschichte in den Kurzmeldungen. Der Makel bleibt an Betroffenen manchmal lebenslang kleben.

Blinde Wut auf „die da oben“

Dem Zukunftsforscher Matthias Horx muss man nicht immer beipflichten, mit diesem Satz hat er aber recht: „Gerade in den letzten Jahren haben wir eine Eskalation der Erregungs- und Skandalisierungs-Kultur erlebt.“ Man muss zuspitzen, um aufzufallen, davon leben Populisten. Sie sprechen ein Bauchgefühl an, ihre Sprüche fallen auf fruchtbaren Boden. Die allgemeine Hysterisierung führt zu Abstumpfung – und Wut: auf „die da oben“, auf „die Politik“, auf „Brüssel“, und bald auch auf unser System der Parteiendemokratie. „Meine Rache heißt Strache“, hört man von manch zornigem Bürger.

Noch „tiefer“ geht es im Schutz der Anonymität bei Postings zu. Wer nicht dem (Un-)Geist der jeweiligen Foren entspricht, wird persönlich beleidigt. Facebook und Twitter ersetzen den mittelalterlichen Pranger und den Dorfplatz. Dort hat man die Weisheit gepachtet und wirft Andersdenkenden Unrat an den Kopf.

Zu Jahresende darf man daher rückblickend fragen: War jede Empörungslawine in diesem Jahr berechtigt? Ist zum Beispiel Frank Stronach ein Narr und Matthias Strolz ein Held? Oder steckt vielleicht in beiden beides? In einem Wahljahr werden Unterschiedlichkeiten zugespitzt, so manches Strohfeuer loderte hoch auf.

Aufgabe verantwortungsvoller Politiker, Bürger und auch Medien ist es, Augenmaß walten zu lassen, statt Emotionen zu schüren. Wäre ein Neujahrsvorsatz.