Meinung/Kommentare/Innenpolitik

Fünf Milliarden und eine geballte Ladung Frust

Die Steuerreform bewegt ihn nicht, er sorgt sich um seinen Arbeitsplatz.

Dr. Martina Salomon
über den "kleinen Mann"

Eine Fünf-Milliarden-Euro-Steuerreform – und alle sind unzufrieden: welch Kunststück! Die rot-schwarze Kernklientel ist frustriert – aus jeweils ganz unterschiedlichen Gründen.

Die ÖVP ist bei Gastwirten, Gewerbetreibenden und Immobilienbesitzern so schlecht angeschrieben wie noch nie. Klar, bei ihnen wird das zu verteilende Geld eingetrieben, und die Liste der Belastungen und Schikanen ist lang. Da gibt es zum Beispiel ganz viel neue Bürokratie im Namen der Betrugsbekämpfung.

Besonders die Wirte toben. Schließlich wurden sie ja schon mit den Wirrungen des Tabakgesetzes und der Lebensmittelkennzeichnungspflicht gequält. Und wenn ein Fleischhauermeister nach einem 12-Stunden-Tag noch das Formular zur "Verdienststrukturerhebung" der Statistik Austria ausfüllen muss, dann denkt er halt, dass die Politik von allen guten Geistern verlassen sein muss. Für Hoteliers kommt eine höhere Mehrwertsteuer, während Deutschland sie gesenkt hat. Ausgenommen wurde das Frühstück, was die Verrechnung sicher nicht einfacher macht und die Frühstückszeiten wohl bis in den Abend verlängern wird.

Zwar hat die ÖVP eine SPÖ-Erbschaftssteuer verhindert, aber Verkauf und Vererben von Wohnungen und Häusern wird kräftig teurer: Wenn etwa der geschätzte Verkaufspreis (Verkehrswert) eine Million beträgt, zahlt man statt bisher 2000 satte 25.250 Euro Grunderwerbssteuer. Auch die Immobilien-Ertragssteuer und die Kapitalertragssteuer auf Dividenden und Kursgewinne steigen. Kein gutes Signal für die Wiener Börse.

Kleiner Mann, was nun?

Nur Niedrigverdiener können sich unumschränkt als Gewinner der Steuerreform betrachten: Wer zu wenig verdient (wozu auch Pensionisten zählen), um Steuer zu bezahlen, erhält eine Negativsteuer in der Höhe von bis zu 50 Prozent der Krankenversicherungsbeiträge. Arbeitnehmer bekommen maximal 400, Pensionisten maximal 110 Euro im Jahr.

Der Eingangssteuersatz für Pensionisten wurde auf 25 Prozent gesenkt. Der automatische Steuerausgleich kommt.

Aber warum nur ist dann auch der sprichwörtliche "kleine Mann", um den sich alle kümmern, so angefressen? Die Steuerreform bewegt ihn nicht, er sorgt sich um seinen Arbeitsplatz. Jobs für niedrig Qualifizierte gehen verloren: weil die Lohnkosten dafür zu hoch sind, weil diese Arbeit im Zuge der Digitalisierung verschwindet, und weil die Konkurrenz durch Zuwanderer steigt, die es deutlich billiger geben. Der "kleine Mann" fühlt sich der neuen Zuwanderungswelle hilflos ausgeliefert: Diese verstärkt nicht nur den Kampf um Jobs, sondern auch um Gemeindewohnungen, Sozialgeld und Bildung für die Kinder. Aber seine Sorgen – auch die Angst vor zunehmender Kriminalität in den einstigen Arbeiterbezirken – nimmt keiner ernst. Man tut sie sogar als "rassistisch" ab, und manchmal, am Stammtisch, ist er es ja auch. Der Kragen platzt ihm angesichts roter Bosse, die günstig in Dachterrassenwohnungen im sozialen Wohnbau investieren. (Dass dieselben vor unrentablen Vorsorgewohnungen warnen, während ihre eigene Partei die Rechtsverhältnisse dafür verschlechtert, ist überhaupt ein Treppenwitz.)

Das alles nutzt der FPÖ: "Angefressene" Gewerbetreibende und kleine Handelsangestellte wählen statt Schwarz oder Rot nun oft lieber Blau.

Irrational? Ja, natürlich!