Erdoğan wird weiter sein Ding durchziehen
Von Walter Friedl
Der Poltergeist vom Bosporus steigt gerade aus der Flasche - und alle schauen zu, ein Trauerspiel.
über das türkische Verfassungsreferendum
Der Countdown läuft. Bis einschließlich kommenden Sonntag können die Auslandstürken noch über die neue Verfassung abstimmen, auch in Österreich natürlich, am 16. April kommt es dann im Land am Bosporus zum großen Showdown. Das Referendum steht an, mit dem sich Präsident Recep Tayyip Erdoğan (fast) die ganze Macht im Staat sichern will. Das Absurde dabei: Egal wie das Votum ausgeht, kurz- und mittelfristig wird sich in der Türkei gar nichts ändern. Und das sind keine gute Nachrichten, denn demokratische Grundrechte werden weiter mit Füßen getreten.
Gewänne der "Sultan" seine Volksabstimmung, für die er wie ein Berserker ackert und verbal mehr als verhaltensauffällig wird, wäre der autoritäre Kurs gleichsam nachträglich legalisiert. Verlöre er das Referendum (Umfragen sehen ein Kopf-an-Kopf-Rennen), wäre das eine seiner bittersten Niederlagen. Wie eine verletztes (Alpha-)Tier könnte er noch rigider regieren, den geltenden Ausnahmezustand nach dem gescheiterten Putsch vom Juli 2016 samt einer gigantischen Säuberungswelle im Staatsapparat ad infinitum verlängern.
Für Erdoğan gibt es kein Zurück mehr zu einer Demokratie, die diesen Namen verdient. Leider ist international keine Macht erkennbar, die ihn zügeln könnte oder wollte. Mit Russland marschiert die Türkei in Syrien Seite an Seite, US-Präsident Donald Trump ist Ankara bloß als Partner im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" wichtig, und die EU fürchtet sich so sehr davor, dass Erdoğan die drei Millionen Flüchtlinge in der Türkei Richtung Europa in Gang setzen könnte, dass die Kritik an dem EU-Beitrittskandidaten inakzeptabel sanft ausfällt.
Der gefährliche Poltergeist vom Bosporus steigt gerade wuchtvoll aus der Flasche – und alle schauen zu, ein Trauerspiel.