Meinung/Kommentare/Innenpolitik

Die Gesellschaft ist viel weiter als die Politik

Offenbar schätzen viele Europäer das Chaos doch nicht besonders

Gert Korentschnig
die Wahl von Emmanuel Macron

Im Öffentlich-Rechtlichen diskutierten gerade Strache und Strolz (sofern man das Diskussion nennen darf), während TV-Sender anderer Länder Live-Bilder aus dem Innenhof des Pariser Louvre zeigten, also dort waren, wo europäische Geschichte geschrieben wurde: Bei der ersten Rede des gewählten französischen Präsidenten. Bei aller Begeisterung für österreichische Innenpolitik: Es ist abenteuerlich egal, was Strache in solchen Momenten zu sagen hat.

Die Inszenierung des Auftrittes von Emmanuel Macron, angelehnt an den großen Staatsmann Mitterrand Anfang der 80er, war jedenfalls erstklassig. Monsieur le Président ließ lange auf sich warten (wehe, in Frankreich kommt jemand zu früh zu einer Einladung). Dann marschierte er alleine durch den königlichen Hof, begleitet von der "Ode an die Freude" aus dem 4. Satz der 9. Symphonie Beethovens, auch bekannt als Europahymne. Ein schönes Bekenntnis zu "EU first" – die Marseillaise wurde erst nach der Rede gespielt und gesungen.

Ein leidenschaftlicher Europäer steht an der Spitze einer der wichtigsten Nationen Europas – und die drohende Gefahr eines endgültigen Zerbrechens der Gemeinschaft ist vorerst wieder einmal abgewendet. Dementsprechend euphorisch fielen die Reaktionen in den meisten Mitgliedsstaaten aus. Völlig zu Recht.

Rechte Recken: Noch nicht ganz am Ende

Macron verhinderte eine Präsidentschaft Marine Le Pens. Damit hat sich seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten ein weiteres Mal in der EU ein überzeugter Demokrat durchgesetzt – nach Österreich (hier allerdings "arschknapp") und den Niederlanden. Möglicherweise würde sogar Großbritannien heute anders abstimmen, ginge es nochmals um den Brexit. Offenbar schätzen viele Europäer das Chaos doch nicht besonders. Daraus jedoch ein Ende des Erfolgslaufes des rechten Recken abzuleiten, wäre aber (leider) verfrüht.

Macron hat darüber hinaus den herkömmlichen Parteistrukturen den Todesstoß versetzt – schon Van der Bellen hatte in Österreich als Sieger über die Großparteien die vermeintlichen politischen Erbpachten beendet.

Kritiker werfen Macron vor, dass er für nichts stehe, was nur oberflächlich richtig ist. Er hat klare Vorstellungen zur Sicherheitspolitik (Tausende Stellen mehr bei der Polizei, höheres Verteidigungsbudget). Er will das Parlament verkleinern, 120.000 Stellen in der Verwaltung abbauen. Er hat angekündigt, Anteile an staatsnahen Betrieben zu verkaufen, gleichzeitig aber Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen und den Unterschied zwischen Pensionen in der Privatwirtschaft und im Staatsdienst zu verringern. Er will Geld in Bildung investieren, die Zeit zur Erledigung von Asylanträgen verkürzen etc.

Manches davon klingt rechts, manches links, einiges liberal, anderes sozialistisch. Na und? Vielen Wählern, und da sind diese weiter als eingesessene Politiker, geht es längst nicht mehr um die alten Schubladen, sondern um die Gebote der Zeit, um Inhalte. Macron hat nur vollzogen, was in der Gesellschaft normal ist: Menschen wählen keine starren Ideologien mehr, sondern Menschen.