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wunder WELT: Joghurt

Das Joghurt geht bei uns nie aus. Ich persönlich mag es mit Vanillegeschmack von einer bestimmten marktführenden Firma, deren Namen ich nicht sagen darf, aber dennoch preisgebe, nämlich NÖM. So gut wie alle Discounter werden von dieser Firma beliefert, nur "Hofer" setzt auf eine andere Marke. Dieses mein Joghurt wird anscheinend von allen Wienern bevorzugt und ist oft ausverkauft, sodass ich stets große Vorräte anlege. Meist sind 20 bis 30 davon im Kühlschrank. Wenn Besuch kommt, kredenze ich gern als Erstes ein Exemplar davon, und der Gast fühlt sich sofort wohl. Er bekommt dann, was ihm im eigenen Haushalt gerade fehlt. Manchmal kontrolliere ich die umliegenden Geschäfte, und überall klafft beim Vanillejoghurt im Regal ein Loch. Da hat jemand das Angebot künstlich verknappt, nämlich ich. Das verschafft mir die süße Genugtuung des anonymen Spekulanten. Der Preis ist auch schon auf 65 Cent angehoben worden.

Zu Ostern kommt mein älterer Bruder Eckart zu Besuch. Schon als Kinder waren wir joghurtsüchtig. Auf unseren Autostop-Reisen durch Frankreich aßen wir die kleinen Danone-Joghurts bis zum Umfallen, acht Stück am Tag. Später wurde Eckart arrivierter Linksintellektueller mit kinderloser Frau und Vorzeige-Villa in der Toskana. Ein typisches Achtziger-Jahre-Schicksal im deutschen Lafontaine-Milieu. Die Maria fragte schon einmal per Mail an, was sie dem gewendeten Italo-Gourmet denn kochen solle. Er war plötzlich ungewohnt bescheiden. Das solle sie ganz allein bestimmen. Zur Not täte es auch eine schlichte sizilianische Gemüsesuppe. Oder ein wenig Parmaschinken, Melone und Pane. Sein einziger "echter" Wunsch sei ein frisches geschmacksintensives Joghurt, hochpreisig, Familienbecher. Ich musste lächeln. Er würde unser Prachtjoghurt bekommen. Da wird der Bruder bestimmt wieder zum Revolutionär.

joachim.lottmann(at)kurier.at