Meinung/Kolumnen/Ueberleben

Zahnarzt

Offenbar wird erwartet, dass man Angst vor dem Zahnarzt zumindest heuchelt.

Guido Tartarotti
über Zahnarztbesuche

Welcher Philosoph war das, der gesagt hat, dass es so etwas wie Empathie gar nicht gibt, weil niemand wirklich weiß, wie sich Schmerz für jemand anderen anfühlt? War das Heidegger?

Unlängst fiel mir dieser Gedanke wieder ein. Ein Freund erzählte mir kreidigen Gesichts, dass er in wenigen Stunden zum Zahnarzt müsse. Ich drückte ihm sofort mein tiefstes Mitgefühl aus. Ich tat das, weil ich gelernt habe: Im sozialen Gesprächsraum folgen auf die Erwähnung des Wortes „Zahnarzt“ zwingend die Worte „Du Armer!“, wie in der Kirche auf „Der Herr sei mit euch“ mit „Und mit deinem Geiste“ geantwortet wird. Ich habe es gelernt, aber fühlen kann ich es nicht. Ich habe nämlich das aberwitzige Glück, dass mir der Zahnarzt noch nie weh getan hat. Ich habe daher vor dem Zahnarzt nicht die geringste Angst. Lustigerweise werden viele Menschen böse, wenn ich das sage: Offenbar wird erwartet, dass man Angst vor dem Zahnarzt zumindest heuchelt, sonst würdigt man das Zahnarztleid der anderen zu wenig.

Ähnlich ist es mit Trennungen, der zwischenmenschlichen Wurzelbehandlung. Die erwartete Wortwahl dazu lautet: „Die Beziehung Schrägstrich Ehe ist gescheitert.“ Warum eigentlich? Warum kann man nicht sagen: Wir hatten zehn tolle Jahre, dann zwei weniger tolle, ergibt unterm Strich eine ausgezeichnete Bilanz. Und jetzt schenken wir einander in Respekt und Zuneigung die Chance eines Neuanfangs?

Die Ehe ist das riskanteste Termingeschäft der Welt: Eine Spekulation auf Gefühle in der Zukunft – obwohl jeder weiß, dass Gefühle zeitlöslich sind. Geht die Ehe auseinander, schalten Bärlibär und Mausezahn auf Atomkriegmodus und benehmen sich ärger als das dicke, dumme Kind in Nordkorea. Wir brauchen eine ordentliche Trennungskultur, sagt J. Und die muss es wissen, die ist nämlich beinahe Frau Doktor.