Meinung/Kolumnen/Ueberleben

über LEBEN: Aufgeschwemmt

Unlängst saßen meine Tochter und ich auf der Katzenhütte und teilten uns die Spaghetti. Die Katzenhütte nennen wir so, weil auf ihr die größte Katze der Welt wohnt. Die Katze ist schwarz und grantig, sie heißt Felix und ist ein ungemein charismatisches Vieh. Als ich mich gerade in die Spaghetti versenken will (bzw. die Spaghetti in mir), höre ich den Satz "Ist hier noch frei?" und der Besitzer des Barolo setzt sich neben uns. Zufall. Wir starren einander verlegen an, schließlich kennen wir einander nur vom Lesen. Ich denke: "Na, der wiegt aber ein bisschen mehr als auf dem Foto." Und ich kann genau hören, dass er dasselbe denkt. Um Konversation zu betreiben, stelle ich die denkbar blödeste Frage: "Wo ist denn der Barolo?" Wer nimmt schon einen Hund zum Skifahren mit? Abgesehen davon würde der Barolo, sollte er es wagen, die Katzenhütte zu betreten, vom Felix filetiert und anschließend mit Pfeffer und Salz verzehrt. Während der Barolo-Besitzer einen sehr vernünftigen Vortrag über die Grauslichkeit von Germknödeln hält und dabei genussvoll einen verzehrt, denke ich: Wieso fällt einem das eigene Zunehmen immer an den anderen auf? Im Jänner traf ich einen alten Freund, den ich 15 Jahre nicht mehr gesehen hatte. Er sah aus, als hätte er pro Jahr zwei Kilo zugelegt. Er blinzelte mich aus seinen zugewachsenen Augen an und sagte: "Du bist aber schwammig geworden." Wenn sogar der das sagte, dachte ich mir auf der Katzenhütte, dann wird es ernst. In meiner Familie, bestehend aus Sportlehrern, gilt Gewichtszunahme ja als Charakterschwäche, als Form der Ungepflegtheit. Ich beschloss, zehn Kilo abzunehmen, am besten noch am selben Tag. Ich blickte zu Felix hinüber, der riesenhaft vor dem Kamin lag und mich auslachte. "Was ist, krieg ich deine Spaghetti?", sagte er.