Meinung/Kolumnen/Ueberleben

Facebook, unsere Höhlenwand

Seit einem Jahr bin ich jetzt auf Facebook und kenn mich immer noch nicht aus. Zum Beispiel steh ich nach wie vor rätselnd vor dem Brauch, ständig Fotos und Clips von süßen Kätzchen herzuzeigen mit Vermerken wie "süß!" oder "Kätzchen!" zu versehen. Ich glaube, im echten Leben haben wir das nicht gemacht. Und woher kommt der Zwang, sich nur noch in Form von Kalenderblatt-Sprüchen auszudrücken? Auch das gibt’s nur auf Facebook, oder? Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, meine Kinder morgens mit Baumumarmer-Weisheiten wie "Das Universum hatte eine Idee, als es dich schuf, finde heraus, welche!" zu wecken. Und täte ich es doch, antworteten sie nicht mit "Gibt dir das Leben Zitronen, mach Limonade", sondern "Papa, hast du Fieber? Musst du ins Spital? Wer erbt die Beatles-CDs?"

Aber die für mich kurioseste Verhaltensoriginalität auf Facebook ist die Sitte, sein Essen vor dem Verzehr zu fotografieren und die Bilder zu veröffentlichen. Warum macht man das? Wir haben einander doch früher auch keine Zeichnungen unseres Frühstücks gezeigt, keine Fotoalben mit Vorspeisenbildern angelegt, nie zu Dia-Abenden "Obst, Südfrüchte, Krustentiere" eingeladen! Zwar haben Urmenschen gerne Skizzen von Wildtieren an die Wände ihrer Höhlen gezeichnet. Aber die hatten einen Grund: Die Speisekarte war noch nicht erfunden und die Bestellung "Einmal B17 mit extra Reis, ohne Shitakepilze" ergo sinnlos. Also musste man aufzeichnen, was man essen wollte.

Vielleicht wollen wir ja Spuren hinterlassen, in der Weite der Geschichte. Und unsere Höhlenwand heute ist: Facebook. Und immerhin: Es ist besser, Sie fotografieren Ihr Essen, als das Gegenteil. Ich allerdings würde niemals mein berühmtes Chili auf Facebook herzeigen. Weil ich nämlich zu blöd bin, Fotos hochzuladen.

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guido. tartarotti(at)kurier.at