Meinung/Kolumnen/Über Gott und die Welt

Frühlingsgefühle

Ja klar, wer den Gestank und den Gatsch gern liebhaben tut, der soll das natürlich tun.

Michael Fleischhacker
über die Zeit zwischen Winter und Sommer

Seit Tagen nervt mich dieser Vogel. Der Kerl imitiert ganz offensichtlich einen Rettungswagen, tatütata, unerträglich. Muss ein gefährliches Leben sein als Vogel, die Rettung ist bei denen im Dauereinsatz. Wenn die ihre Frühlingsgefühle kriegen, bringen sie sich wahrscheinlich genauso gern um wie die Zweibeiner, zu deren Unterhaltung sie angeblich trällern. Die Naturliebhaber in meiner Umgebung rügen mich mit sanften Worten und liebevollen Gesten dafür, dass mir der Typ da draußen auf die Nerven geht. Man hat sich jetzt über den Frühling zu freuen und darüber, dass alles wieder zum Leben erwacht und knospen tut und blühen und der ganze Mist. Ja klar, wer den Gestank und den Gatsch gern liebhaben tut, der soll das natürlich tun. Geht ja vorbei. Als Läufer hab ich einfach eine solide Frostgrundlage mit dauerhafter Schneedecke in jeder Hinsicht lieber als die Jauchegrube, die sich derzeit als Spazierweg ausgibt. Morgendliche Begegnungen auf dem Weg zum Kindergarten, in der Bäckerei, in der Straßenbahn und in den Kaffeehäusern waren im Winter auch etwas leichter zu ertragen. Die Gesichter waren von jener unbestimmten Ausdruckslosigkeit, die das Risiko unerwarteter Ansprache auf so angenehme Weise beherrschbar macht. Kaum passieren die Temperaturen die Zehn-Grad-Grenze, fletscht alles die Zähne und terrorisiert den Rest der Welt mit aggressiver Freundlichkeit. Wenn jemand glaubt, dass er wegen ein paar Sonnenstrahlen mitten in der Nacht glücklich werden muss, soll er das meinetwegen tun. Aber was habe ich damit zu tun? Alles, was ich tun kann, ist, mich auf den Sommer zu freuen. Da werden die ganzen Zähnefletscher wieder normal und schauen, wie sie die körpereigene Wildbachverbauung gegen ihre Schweißströme organisieren, statt Menschen zu terrorisieren, die einfach nur ihre Ruhe haben wollen.