Meinung/Kolumnen/Tagebuch

Zwischen Honig und Salzsäure

Jeder verdient in der Woche mehr als der Bundespräsident im Jahr.

Wolfgang Winheim
über bei der WM ausgeschiedene Superstars

Mit folgenden Herren ließe sich bedenkenlos die Weltauswahl bilden: Casillas (Real); Ramos (Real), Pique ( Barcelona), Martinez (Bayern); Gerrard (Liverpool), Iniesta (Barcelona), Busquets (Barcelona), Rooney (Manchester United); Eto’o (Chelsea), Diego Costa (Atletico), Torres (Chelsea).

Jeder verdient in der Woche mehr als der Bundespräsident im Jahr. Jeder erhielt schon einmal das Prädikat "Weltklasse". Doch jeder wird die WM nach der Gruppenphase nur noch vor dem Bildschirm erleben. Und wenn sich die Portugiesen heute von den athletischen US-Amerikanern und dessen Trainerduo Jürgen Klinsmann/Andreas Herzog taktisch austricksen lassen, dann wäre auch Cristiano Ronaldo im Achtelfinale nicht mehr dabei. Dann würde auch der Weltfußballer des Jahres 2013 die Liste der WM-Abwesenden ergänzen, nachdem es für Reals walisischen 100 Millionen Euro-Mann Gareth Bale, Schwedens Zlatan Ibrahimovic (Paris SG) oder den polnischen Bundesliga-Schützenkönig Robert Lewandoswki mit ihren Nationalteams für ein Brasilien-Ticket gar nicht erst gereicht hatte.

Das Fehlen so vieler Wunderkicker bescherte der WM aber keinen Niveauverlust. Selbst die Franzosen sind nach dem verletzungsbedingten Ausfall von Franck Ribery nicht zur Durchschnittstruppe verkommen. Im Gegenteil: Seit dem 5:2 gegen die Schweiz wird ihnen sogar zugetraut, dass sie, die Migrationsweltmeister (13 Spieler mit afrikanischen Wurzeln), auch den offiziellen WM-Titel holen.

Noch nach dem Start gegen Honduras (3:0) hatten Honorarkritiker (= ehemalige Nationalspieler) ganz anders geurteilt. Auch das ist typisch für diese WM. Von einem Extrem ins Andere. Sowohl auf dem Spielfeld als auch vor Mikrofonen dominiert die Angriffslust. Mehr Tore und mehr Laufarbeit bedeuten nicht automatisch weniger Kritik. Und wenn Favoriten wie Spanien, England oder Italien patzen, tauchen die Reporter ihre Laptops auch schon manchmal in Salzsäure und revanchieren sich schadenfroh dafür, dass sie von Stars und deren PR-Sheriffs respektlos behandelt werden.

Dicke Luft

Konfliktfreies Zusammenarbeiten ist kaum noch möglich. Zu viele Medienleute wollen von Teamchefs und Kapitänen in den wenigen Audienz-Minuten einfach zu viel. In Brasilien reisen Reporter Tausende Kilometer zu einer Pressekonferenz an, um dort hören zu müssen, dass die Aufstellungen geheim bleiben. Oder dass nur eine limitierte Zahl von Journalisten im Saal zugelassen ist. Ausgesperrte Radioleute pflegen daraufhin vor den Türen ihre Tonbandgeräte zu Lautsprechern zu halten und ihre Fragen nachträglich dazuzu"schneiden".

Bei der letzten WM in Südamerika war noch alles anders. 1978 gab es weder Privat-Radios noch Internet-Portale. Da war die Journalistenmeute nicht halb so groß. Da durfte der Schreiber dieser Zeilen am Tag nach dem 3:2 in Cordoba den Erfolgsteamchef Helmut Senekowitsch beim Einkaufen in Buenos Aires begleiten und feststellen, wie bescheiden und sparsam der zu dieser Zeit in Österreich so Gefeierte war. "Zu teuer", befand Senekowitsch, als ihm ein schickes Paar Schuhe um umgerechnet 1.50 Euro angeboten wurde.