Tagebuch: Massen, Mikrofone & Moneten
Von Wolfgang Winheim
Adelboden 1982: Gefahren werden musste, zumal es noch keinen Kunstschnee gab, oben auf der Tschentenalp. Im Fernsehen herrschte Mattscheibe. Radio-Reporter hatten in Holzkabinen am Start zu hocken. Und im nur mit Skiern erreichbaren Ziel durfte der scheue Seriensieger Ingemar Stenmark vor sich hinschweigen, weil sich unter den zehn Augenzeugen kein einziger Mikrofonträger befand.Adelboden 2012: Im Zielgelände am Chuenisbärgli stauen sich die Massen, obwohl weder die serpentinenreiche Anfahrt im Schneechaos noch das bisher mäßige Abschneiden der Schweizer Riesentorläufer zu einem Besuch zu animieren schien.Schon am Vortag hatten Ski-Fans Adelboden gestürmt, gaben Philipp Schörghofer und Carlo Janka in einer Atomic-Koje auf der Dorfstraße Autogramme. Gegenüber schrieben sich im Head-Zelt, umgeben von Glühwein-Duft, Didier Cuche und Ted Ligety die Finger wund.Abends stellten sich die Gruppe-1-Rennläufer anlässlich der Startnummern-Vergabe, bei der Aksel Lund Svindal und Co. zwecks höherem Unterhaltungswert von einem Fenster aus dem zweiten Stock abgeseilt wurden, erneut der Öffentlichkeit. Und am Renntag trat Marcel Hirscher schon zur Riesentorlauf-Halbzeit zum Slalom zwischen Mikrofonen an.Im Fußball wäre das undenkbar. Der ehemalige Teamtormann Alexander Manninger hatte gar schon am Dienstag Interviews verweigert mit dem Argument, er müsse sich auf das Samstag-Spiel konzentrieren.Als zweiter Ersatz-Goalie von Juventus verdient der Legionär nach wie vor mehr als die Mehrheit der alpinen Erste-Gruppe-Starter.Unabhängig von Alex M., der alle Neider von Turin aus auslachen kann, wird Hirscher immer wieder gefragt, ob er angesichts der Gagenunterschiede an der Gerechtigkeit im Sport zweifle. Der Salzburger verneint.Erstens kann er als erst 22-jähriger Preisgeld-Krösus des ÖSV-Herren-Teams nicht klagen. Zweitens hätte er ja ("Mir fehlte das Balltalent") Kicker werden können. Und drittens, sagt der Sohn einer Holländerin und eines Salzburger Skischulbesitzers, "ist Fußball im Gegensatz zu unserem Betrieb a Weltsportart".Die Weltstimmung in den Bergen tröstet über Ungereimtheiten hinweg. Seit Jahresbeginn haben Österreicher dank Gregor Schlierenzauer, Andreas Kofler, Thomas Morgenstern, Marlies Schild, Elisabeth Görgl und Hirscher alles gewonnen, was zu gewinnen war. Und der zweite Platz von Benjamin Raich elf Monate nach seiner schweren Knieverletzung ist in Wahrheit auch ein Sieg.
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