Meinung/Kolumnen/Tagebuch

Die Zeit blieb nur im Prater stehen

Das Wiener EM-Stadion von 2008 ist für solche Topereignisse nicht mehr geeignet.

Wolfgang Winheim
über ein museumsreifes Stadion

Am Tag genau vor 50 Jahren wurden 328 Fußball-Zuschauer in Lima zu Tode getrampelt. Die Polizei hatte nach einem falschen Pfiff während des Olympia-Qualifikationsspiels Peru – Argentinien mit Tränengas auf einen Platzsturm empörter Fans reagiert und vergessen, dass die Stadiontore verriegelt waren. Die Tragödie verkam hierzulande zur Randnotiz. Zumal die Informationen dürftig waren und Fußball-Europa gespannt nach Wien blickte. Zum Meistercup-Finale Real MadridInter Mailand.

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Der italienische Herausforderer entzauberte das Weiße Ballett: Inter siegte 3:1. Worauf jeder Mailänder Spieler die damals unfassbar hohe Prämie von umgerechnet 12.500 Euro bekam.

Frenkie Schinkels, der Puls4-Champions-League-Analysierer, trug zu dieser Zeit in Rotterdam noch Hose und Gilet in einem. Auch der acht Jahre ältere Wiener Herbert Prohaska erlebte vom Wiener Finale nichts mit: "Wir hatten keinen Fernseher. Und Karten konnte sich mein Vater net leisten."

Dem späteren Inter-Star Prohaska wurde natürlich erzählt, dass (so wie gestern Atléticos Diego Simeone) auch 1964 in Wien ein Argentinier Trainer des Real-Gegners war. Der legendäre Helenio Herrera ließ – ein Frevel für Kick-Ästheten – nur einen Mann (Jair) stürmen und die Ballgenies Mazzola, Suárez, Corso viel in der Etappe arbeiten. Daran verzweifelten Reals Altstars Alfredo di Stefano (37) und Ferenc Puskas (36).

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In der aktuellen Real-Elf ist nur TormannIker Casillasweit über dreißig. Selbst er läuft in einem Spiel bis zu fünf Kilometer. Und damit, sofern spanische Aufzeichnungen stimmen, kaum weniger als einst Di Stefano.

Sechs Kilometer soll in den frühen 1960er-Jahren die Laufleistung eines Feldspielers betragen haben. Inzwischen rennen ÖFB-Teamspieler (allen voran Zlatko Junuzovic) doppelt so viel. Doch solche Vergleiche sind unfair. Zumal sich von Schuhwerk bis Ernährung so ziemlich alles geändert hat.

Anders als heute wollten Trainer ihren Spielern selbst bei Hochsommer-Kicks das Wassertrinken verbieten.

Anders als in der heutigen Meisterliga, in der die Atlético-Stars zu allen ihren 13 Spielen mit dem Logo "Azerbaijan, Land of Fire" einliefen, wäre 1964 Feuer am Dach gewesen im Falle von Trikot-Werbung.

Und anders als heute zählte das Prater-Stadion, in das 1964 noch 72.000 durften, zu Europas besten Adressen.

Nicht nur in Deutschland entsteht ein Sporttempel nach dem anderen: Ungarn rüstet mit vier Stadien auf. Auch haben alle Gastgeber dieses Jahrtausends im Gegensatz zu Wien (EM 2008) die EM zu Neubauten genutzt. So gab das anlässlich der Endrunde 2004 in Portugal errichtete Lissabonner Estádio da Luz gestern eine prächtige Kulisse ab.

Wien braucht sich für so ein Finale nie mehr zu bewerben: Das Happel-Stadion ist museumsreif. Nur meinen Wutbürger, dass allein schon seine Instandhaltung in Relation zu Fußball-Erfolgen genug rausgeschmissenes Geld für den Sport sei. Allerdings:

Das Happel-Stadion dient längst nicht dem Fußball allein. Abgesehen von Pop-Konzerten – die MA 67 mit der Parkraumüberwachung hat im Tribünenbauch ihre Zentrale. Irgendwie ist ja auch das Verteilen von Strafzetteln zum Sport geworden.