Meinung/Kolumnen/Tagebuch

Die Migrations-Weltmeister

Allem nationalistischem Quertreiben zum Trotz kennt der globalisierte Fußball keine Grenzen.

Wolfgang Winheim
über den globalisierten Fußball

Ehe alles, was nicht einem Fußball nachläuft, gänzlich in den medialen Schatten gerät, sei erinnert, dass noch andere Sportarten faszinieren können. Darunter solche, in denen sich zuletzt Österreicher bewährten.

Dem Golfer Bernd Wiesberger brachte Platz zwei beim Turnier in Atzenbrugg neben der erstmaligen Qualifikation für die US Open auch 111.110 Euro Preisgeld und damit um 41.000 mehr als Hannes Reichelt sein Abfahrtssieg in Kitz.

Die österreichischen Halbamateure im American Football werden ihr EM-Silber zwar nicht versilbern können, ihre (von Schiedsrichtern beeinflusste) Final-Niederlage gegen Deutschland glänzte in den Augen von 27.000 Zuschauern im Happel-Stadion aber wie Gold.

Ebenfalls WM-Silber eroberte eine Woche zuvor die Kanutin Julia Schmid auf dem Wiener Wildwasserkurs. Und der Modell-(Leicht)-Athlet Dominik Distelberger übertraf am gleichen Wochenende erstmals die 8000-Punkte-Marke. Und ist jetzt (mit 8168 Zählern) hinter Langzeit-Rekordler Gernot Kellermayr, 48, der zweitbeste Österreicher in der Königsdisziplin Zehnkampf und eine kleine Olympia-Hoffnung für Rio 2016.

Die Leichtathletik-Bewerbe von 2016 werden, zumal Brasilien im Gegensatz zu Sozialeinrichtungen offensichtlich genug Geld für Stadien ausgibt, in einer neuen Olympia-Arena stattfinden. Im laufbahnlosen, für 316 Millionen Euro renovierten Maracanã von Rio rollt am Sonntag erstmals der WM-Ball, wenn Argentinien auf WM-Neuling Bosnien trifft.

Auf Seiten Argentiniens verfügen gleich 20 der 23 WM-Kadermitglieder über eine Doppelstaatsbürgerschaft. Bei den Bosniern nimmt Sturm-Graz-Spieler Anel Hadzic, obwohl er schon ein Unter-21-Match für Österreich bestritten hat, auf der Ersatzbank Platz.

Allem nationalistischem Quertreiben zum Trotz kennt der globalisierte Fußball keine Grenzen. So berichtet die Medien-Servicestelle Neue-Österreicher/innen, dass 82 der 736 WM-Spieler nicht in jenem Land geboren wurden, für das sie bei der WM antreten. Und dass Frankreich und die Schweiz mit je 13 Mann Migrations-Weltmeister sind. Zum Vergleich: Der letzten ÖFB-Auswahl gegen Tschechien gehörten acht Spieler mit Migrationshintergrund an.

In Österreich leben 4300 Menschen brasilianischer Herkunft. Darunter Paulinho, den die Vienna 1963 holte. Er war der zweite brasilianische Legionär in Österreich. Der erste hieß Graziano Waldemar Jacare. Er war unter uns Jugendlichen dermaßen beliebt, dass wir den Austrianer – frei von jeglichem rassistischen Gedankengut – liebevoll Murli riefen. Jacare hatte auf Fotos auch mit Murli unterschrieben und die Bezeichnung nie als negativ empfunden. Leider kann er das nicht mehr bestätigen. Jacare erlag 2010 in Innsbruck den Folgen eines Schlaganfalls.