Tagebuch: Die Chef-Region
Von Wolfgang Winheim
Eid- statt Neidgenossen! Alle beim Ski-Weltcup-Auftakt in Sölden um Auskünfte über Marcel Koller ersuchten Schweizer Journalisten reagierten mit einem Ja zu K. Seriös, fachlich kompetent, fleißig und nicht bereit, mit dem Boulevard zu packeln - so wird der Mann beschrieben, der am Mittwoch erstmals Österreichs Fußball-Teamkader bekannt gibt. Kollers 25 Jahre älterer Landsmann Joseph Blatter könnte sich glücklich schätzen, würden ihm ähnlich positive Attribute gelten. Immerhin ging Blatter im Korruptionssumpf seiner FIFA nicht unter. Mister President, 75, wird bis 2015 von Zürich aus bestimmen, wohin der Fußball rollt. Wie Blatter versteht es auch FIS-Präsident Gian-Franco Kasper in vier Sprachen zu intri..., pardon zu taktieren, um sich seit 1998 an der Spitze eines Weltverbandes zu halten. Skiboss Kasper ist auch Vize des IOC, das seinen Olympia-Sitz in Lausanne hat. Der Sport wird nach wie vor von der Schweiz aus gelenkt. Was für sie weltweit gilt, trifft auf den Kanton Übrig für Österreich zu.
Kanton Übrig? So musste sich das Ländle in Anspielung aufs Jahr 1919 nennen lassen, als sich viele Vorarlberger lieber der Schweiz angeschlossen hätten. Aber ihrer übernächsten Generation ist zu verdanken, dass das Atomkraftwerk Zwentendorf nie hochgefahren wurde. 80 Prozent der Vorarlberger haben gegen die Atomkraft gestimmt und damit 1978 Zünglein an der Waage gespielt. In jedem Vorarlberger, heißt es, stecke ein Oberlehrer und ein Polizist. Wer Olympia-Präsident Karl Stoss reden hört, hält die Behauptung für gar nicht so übertrieben. Wie Stoss ist ÖOC-Generalsekretär Peter Mennel Vorarlberger, kommen auch Lindsey Vonns Head-Rennchef Rainer Salzgeber sowie Ski-Athletensprecher Kilian Albrecht und ÖSV-Cheftrainer Mathias Berthold aus dem zweitkleinsten Bundesland. Zu Bertholds härtesten Widersachern auf den alpinen Weltcup-Feldherrenhügeln zählen allerdings ein Steirer und ein Salzburger: Carlo Jankas Förderer Sepp Brunner und Abfahrtstrainer Hans Flatscher. Beide Österreicher stehen im Fränkli-Sold des Schweizer Verbandes. Beide wurden oft schon von eidgenössischen Medien gelobt. Somit hat es - obwohl die Sitten rauer sind als im Skisport - auch der Schweizer Koller verdient, dass seine Arbeit unvoreingenommen beurteilt wird im an Selbstüberschätzung leidenden Fußball-Land Österreich.
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