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Russische Geschichten

Gelassene Security, ein Ski fahrender Präsident ohne Helm – beides wäre inzwischen wohl undenkbar.

Wolfgang Winheim
über Sotschi

Marcel Hirscher kann heute nicht punkten. Das Münchner Neujahrsrennen wurde wetterbedingt abgesagt. Für 2015 scheint Wien im provisorischen Weltcup-Kalender auf. Vorbild für Städtederbys war Moskau, wo vor der Lomonossow-Universität auf einer Riesenrampe gefahren wurde.

Felix Neureuther erwies sich – in Abwesenheit von Hirscher – bei der Premiere als schnellste Rampensau. Das war am 2. Jänner 2009. Am Tag, an dem die Medien-Welt der Gaskonflikt zwischen Russland und der Ukraine in Atem hielt. Vielleicht fehlte Wladimir Putin deshalb unter den 8000 Zuschauern. Doch kurz vor Mitternacht, als mit dem deutschen Sieger und dessen Vater im Hotel ein bissel gefeiert wurde, hieß es plötzlich: „Der Boss will euch morgen alle gerne in Sotschi sehen. Auch euch Journalisten.“

Das Argument, dass die Visa zeitlich begrenzt und die Heimflüge gebucht seien, wurde vom Putin-Vertrauten Leonid Tiagatschew lächelnd entkräftet. Höchstpersönlich sammelte der damalige, stets freundliche Minister und Präsident des russischen Olympischen Komitees am Flughafen unsere Pässe ein.

Nur Bode Miller, der am 1. Jänner noch im ärmellosen Shirt bei Minusgraden eine Kreml-Führung mitgemacht hatte, ignorierte die Einladung nach Sotschi. Sein US-Landsmann Ted Ligety indes drückte Putin dort ungeniert einen Sticker „Vote Obama“ auf den Anorak.

Der Aufenthalt in Sotschi, wo es zuerst regnete und dann heftig schneite, dauerte vier Stunden, war kürzer als die Flugreisen im Gazprom-Jet. Immerhin durften Mario Matt, Reinfried Herbst, Giorgio Rocca und Co. mit Putin fein dinieren und ihn davor barhäuptig Ski fahren sehen.

Ob Slalomstars oder Weltcup-Direktor Günter Hujara – jeder wollte ein Erinnerungsfoto mit dem Mann ohne Sturzhelm. Ja, das Gedränge war dermaßen groß, dass ich einen Stoß bekam und versehentlich dem obersten Russen auf die Skienden stieg. Kein Aufpasser reagierte.

Gelassene Security, ein Ski fahrender Präsident ohne Helm – beides wäre inzwischen wohl undenkbar.