Meinung/Kolumnen/Tagebuch

Mehr Polemik als Respekt

Enttäuschend ist in Wahrheit, dass keiner mehr unparteiisch denkt

Wolfgang Winheim
über die Weltfußballer-Wahl

Dem Mann fehle das Sieger-Gen. Mit dieser Begründung hatte Frank Stronach bei der Austria im Jahr 2004 Joachim Löw gefeuert. Jetzt wurde der Deutsche zum Welttrainer des Jahres geadelt. Ein anderer mit Austria-Vergangenheit ging bei der FIFA-Gala leer aus. David Alaba fand in der Weltelf keine Berücksichtigung. Das ist keine Schande, zumal ihm ausnahmslos WM-Spieler vorgezogen wurden. Zudem kann sich das ehemalige Austria-Talent damit trösten, dass es einige Tage zuvor in die Europa-Auswahl gewählt worden war. Und auch wenn’s der vom FC Bayern zu Diplomatie erzogene David nie zugeben wird:

Allein das Aufscheinen im Europa-Team steigert seinen Marktwert mehr als der Titel "Österreichs Sportler des Jahres". An der von Ski-Präsident Peter Schröcksnadel so kritisierten Wahl nahmen 483 heimische Medienvertreter teil, an der Europa-Abstimmung der UEFA indes neun Millionen Fußballfans.

Die meisten Emotionen aber löste die Wahl des Welt-Fußballers des Jahres aus.

Die Madrider Sporttageszeitungen Marca und AS zitierten schon im Herbst täglich irgendeinen Kapazunder, der sich für Real-Star Cristiano Ronaldo starkmachte. Tenor: Jeder andere Ausgang als ein Ronaldo-Sieg wäre ein Skandal.

In Barcelona war aus katalanischen Zeitungszeilen das Nahverhältnis zum FC Barcelona herauszulesen. Tenor: Nur Lionel Messi habe den Titel verdient.

Aus deutscher Sicht wiederum konnte es, gleichgültig ob für Bayern-Direktor Matthias Sammer, Franz Beckenbauer oder die Bild-Zeitung, nur einen geben. Tormann Manuel Neuer. Tenor: Gewinnt nicht er, wäre das enttäuschend schwach.

Enttäuschend ist in Wahrheit, dass keiner mehr unparteiisch denkt. Bzw. nur sagt, was die Öffentlichkeit im jeweiligen Land hören will.

Immerhin fand Bayern-Kapitän Philipp Lahm nach dem Wahl-Sieg Ronaldos für den schönen Portugiesen Worte des Respekts. Und allen, die sich im Fußball nicht so gut auskennen wie Frank Stronach, sei gesagt: Ronaldo hat zwar keinen WM-Titel, aber mit Real dank seiner spektakulären Tore die Champions League gewonnen.