Meinung/Kolumnen/Tagebuch

Hoch, höher, WM 2015

Dass die extreme Höhenlage extrem viel antialkoholische Flüssigkeitszufuhr erfordert, wusste unsereiner noch nicht.

Wolfgang Winheim
über die Ski-WM 1989

Es war eines der attraktivsten und anstrengendsten Rennen aller WM-Zeiten, Marcel Hirscher und sein Bezwinger Ted Ligety standen völlig ausgepumpt im Ziel, das in Beaver Creek 1100 Meter höher als in Kitzbühel das Starthaus liegt. Und heute folgt der Spezialslalom, in dem es erneut kein Zurückhalten, sondern viele Ausfälle geben wird. Österreich darf im letzten Rennen erstmals fünf Starter stellen. Dank Wildcardbesitzer Hirscher. Dank des Slalom-Weltmeisters von 2013, der im Falle einer Titelverteidigung Österreich zu so viel WM-Gold (sechs) verhelfen könnte, wie es bisher erst einmal – vor 53 Jahren – gelungen ist.

Während der WM 1962 in Chamonix hockten hierzulande die Leut’ noch gemeinsam in Wirtshäusern vor einem kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher. Sie erfuhren mit Verspätung vom Endresultat. Rennzeiten konnten kaum eingeblendet werden. Aber unterm Fernseh-Volk dominierte Bescheidenheit. Der Jubel über Doppelweltmeister Karl Schranz war größer als der Ärger über Bildstörungen.

1989, bei der ersten WM in Vail, erlebte der TV-Zuschauer schon andere Zeiten. Und nach einer Abfahrtspleite ein versöhnliches Torlauf-Ende. Zur Slalom-Halbzeit hatte Trainer Hans Pum (heute ÖSV-Sportdirektor) in der Kirche von Vail eine Kerze angezündet. Minute danach brannte Pum-Schützling Rudi Nierlich ein Feuerwerk ab. Er wurde nach dem Riesenslalomsieg auch Slalom-Champion. So mancher Fan oder Reporter bekam Kopfweh. Dass die extreme Höhenlage extrem viel antialkoholische Flüssigkeitszufuhr erfordert, wusste unsereiner noch nicht.

1999, als zum zweiten Mal in Vail/ Beaver Creek um Edelmetall gefahren wurde, stellte Hermann Maier bereits Trinkrekorde auf – mit und ohne Sekt. Dazu wurde auf die Siege von Renate Götschl und Alexandra Meissnitzer angestoßen. Maier war den Damen damals suspekt – nicht nur, weil er sogar nach Colorado einen Ergometer mitschleppte.

16 Jahre später stehen in Beaver Creek in allen Teamquartieren Fahrradergometer herum. Sauerstoffmasken gehören wegen der extremen Höhenlage zur Standardausrüstung. Im Patschenkino bleibt Daheimgebliebenen vor Staunen die Luft weg, trägt doch das Fernsehen dazu bei, dass die WM 2015 zur WM der Superlative wird. Der ORF, der seine skierprobten Regisseure dem US-Konzern NBC lieh, ist mit 80 Mitarbeitern vor Ort. Kein anderer Sender überträgt so viel. Und auch wenn Spötter urgieren, weshalb nicht auch noch die Stahlkante vom Ski des Servicemanns der Anna F. interviewt wird, steht fest: Noch nie haben so viele ORF-Zuschauer an so vielen Tagen hintereinander so viel Skilauf konsumiert.

Bei der (gar nicht sehr populär gewesenen) Damen-Kombi wurde mit 1,6 Millionen sogar die höchste Quote seit dem Fußball-WM-Finale 2014 erreicht. Der Teambewerb hat sogar um 0.25 Uhr noch mehr als eine halbe Million zum Verweilen vor dem Bildschirm animiert, der Damen-Riesenslalom (1,390 Millionen) die Quote vom Opernball (1,047) übertroffen.Geschmackspolizisten vom intellektuellen Nabel der Nation mögen die unglaublichen Sport-Quoten als Indiz für geistigen Verfall interpretieren. Nur:

Wer von 8 bis 17 Uhr arbeitet und ständig mit Horror-Meldungen aus Wirtschaft und Politik konfrontiert wird, der sehnt sich vielleicht unbewusst nach schönen Landschaften, spektakulären Leistungen und sonnigen Gesichtern; nach sensationellen Siegern und fairen Verlierern. Wer solche Bilder als Balsam für die Seele empfindet, muss noch lange kein Dummkopf oder Chauvinist sein.