Meinung/Kolumnen/Tagebuch

Gentlemen

Das Nicht-verlieren-Können beschränkt sich keineswegs nur auf Profis.

Wolfgang Winheim
über hilfsbereite Spieler und den österreichischen Tunnelblick.

WM-Premiere am Amazonas: hohes Niveau trotz hoher Temperatur und hoher Luftfeuchtigkeit. Im Finish werden die Engländer Opfer des hohen Tempos. Als sie von Krämpfen geplagt zu Boden gehen, leisten Gegenspieler Erste Hilfe. Dabei pfeifen auch Italiener aus dem letzten Loch. Juve-Star Claudio Marchisio: „Zeitweise dachte ich, ich leide an Halluzinationen.“ Der Holländer Björn Kuipers beweist, dass nicht alle WM-Referees Pfeifen sind. Er zückt nur einmal Gelb. Bessere Fußballer können sich in Gegenwart besserer Spielleiter offensichtlich auch besser benehmen. Oder gilt: Wie das Herrl, so das Gscher?

Die Teamchefs Cesare Prandelli und Roy Hodgson gelten als Gentlemen. Der Brite Hodgson, dem 2002 vom ÖFB Hans Krankl als Teamchef vorgezogen worden war, ging vor Anpfiff sogar zur italienischen Bank, um allen Reservisten die Hand zu schütteln. In Österreich undenkbar. Hierzulande dominiert der Tunnelblick. So erzählt ORF-Regelexperte Thomas Steiner, dass ihn, den pensionierten Referee, ein Bundesliga-Trainer wegen eines vermeintlichen Fehlpfiffs bis heute nicht grüße. Das Nicht-verlieren-Können beschränkt sich keineswegs nur auf Profis. Hobby-Kickerln von Akademikern, Senioren oder Journalisten-Länderspiele haben nicht nur einmal mit einem Eklat geendet, nachdem wir uns aufführten wie im Urwald. Der ist von Wiener Sportplätzen zuweilen weniger weit entfernt als von Manaus.