Meinung/Kolumnen/Tagebuch

Die Warnungen eines kompetenten Vaters

Warum tut sich Marcel Hirscher, der begnadete Torläufer, den superschnellen Super-G an?

Wolfgang Winheim
über das alte Leid Verletzungen trotz neuer Ski.

Trotz neuer Ski das alte Leid. Es vergeht kaum ein Rennen, nach dem nicht ein Starter im Krankenhaus landet. Die Materialreform (längere, schmälere Latten) soll der Sicherheit dienen und hat die ohnehin am finanziellen Abgrund stehende Ski-Industrie Millionen gekostet. Warum aber, fragt, Marcel Hirschers Vater, wurde vom Internationalen Skiverband bei den Reformen nicht zuerst mit dickeren, das Tempo und die Erkältungsgefahr reduzierenden Renn-Anzügen begonnen?

Und warum, kritisiert Ferdinand Hirscher anklagend, werde speziell im Super-G immer wieder eine tückische Kurssetzung zugelassen – mit gemeinen, hinter Kuppen platzierten Richtungstoren, die ein mit mehr als 100 Stundenkilometern Daherrasender davor nicht sehen kann? Genau so ein Tor ist dem Abfahrtsspezialisten Max Franz auf dem von seinem eigenen Abfahrtstrainer Burkhard Schaffer ausgeflaggten Kurs in Beaver Creek am Samstag zum Verhängnis geworden. Schwere Gehirnerschütterung, Nasenbeinbruch.

Zur Ehre des geprüften Skilehrers und Allroundsportlers Hirscher, 55, muss gesagt werden, dass er seine Stimme am Samstag nicht nach, sondern bereits v o r dem Super-G mahnend erhoben hat. Hirscher Senior gilt nicht nur in der Skibranche als genialer Beobachter und Analytiker. So verdankt der neue Motocross-Weltmeister Matthias Walkner, wie der junge Salzburger Champion immer wieder erwähnt, seinen sensationellen WM-Titel nicht zuletzt dem Know-how von Hirscher. Die Reise zum Ski-Weltcup nach Colorado ließ Papa Hirscher wie schon im Vorjahr aus, zumal Fliegen nicht seine Leidenschaft ist. Dafür gewähren die Eltern des Sportlers des Jahres daheim in Annaberg-Lungötz (Salzburg) anlässlich der TV-Übertragung Einblicke in ihr Gefühlsleben.Mama Hirscher, eine gebürtige Niederländerin, serviert in der g’mütlich bescheidenen kleinen Dachgeschoßwohnung grünen Tee, schon ahnend, dass sich der Super-G auf den Magen schlagen werde.

Tapfer schweigend verfolgen sie und Marcels 15-jähriger Bruder Leon das problematische Rennen, das einem schon beim Sturz der Nummer 1 (sie trug der Deutsche Stephan Keppler) den Puls jenseits des 100er-Bereichs treibt. Als Marcel im Starthaus steht, kann der Papa daheim nicht mehr sitzen. Marcel muss mit Nummer sechs als erster Österreicher ins Rennen. Im Gegensatz zu den Abfahrtsspezialisten fehlt dem leichtgewichtigen Techniker jegliche Geländekenntnis in Beaver. Warum tut sich er, der begnadete Torläufer, den superschnellen Super-G an?

Weil Hirscher beim Weltcup-Finale in Schladming („Aber damals hat er dort vorher wenigstens ein paar Fahrten bestritten“) im März sensationell Rang 3 belegt hat. Und weil Beaver Creek für ihn die erste und vielleicht auch schon letzte Chance zu sein schien, sich auch für die WM in Schladming im Februar für den Super-G zu empfehlen. „Diese Chance hat Marcel leider schon jetzt vertan“, sagt der Papa, zumal Starts bei den vor der WM noch ausstehenden Super-Gs in Gröden und Kitzbühel allein schon in Hinblick auf die stressreichen Torlauf-Aufgaben kontraproduktiv wären.

Nur Platz 33 für Österreichs besten Skifahrer in Beaver Creek. Obwohl er im Steilen fehlerfrei unterwegs war. Doch die Erleichterung, seinen Sohn gesund im Ziel zu wissen, ist größer als der Ärger. So sagt das Ferdinand Hirscher seinem Junior auch, als sich der Weltcup-Titelverteidiger 40 Minuten später telefonisch meldet. Zu diesem Zeitpunkt strömen die jungen Menschen aus Hirschers Salzburger Heimatgemeinde bereits wieder zum Krampuslauf hinaus auf die Bundesstraße. „Hauptsach’, im Slalom ist er der Beste“, brüllt ein maskierter Kramperl.

Aber den Kurssetzern wird die Rute unabhängig vom Kalender noch öfters ins Fenster gestellt werden.

wolfgang.winheim@kurier.at