Meinung/Kolumnen/Tagebuch

Der wahre Mister Sotschi

Weil es Tiagatschew zuzuschreiben ist, dass die Sportwelt nach Sotschi blickt

Wolfgang Winheim
über einen ehemaligen Jeans-Schmuggler

Zehnte Medaille in Sotschi. Und die 300. bei Olympia (Winter- und Sommerspiele) insgesamt. Den Nordischen Kombinierern Lukas Klapfer, Christoph Bieler, Bernhard Gruber und Mario Stecher ist zu verdanken, dass Österreich Jubiläum feiern kann.

Die Gastgeber rutschten hingegen auch am Donnerstag in der Loipe deutlich am Podest vorbei. Zu gleicher Zeit drohte der russische Sportminister Witali Mutko, empört über das Scheitern bei Eishockey und Biathlon, ein Köpferollen an. Zumal Wladimir Putin erwartet hatte, das Russlands Winterhelden den Heimvorteil nutzen würden, um an die große Tradition aus dem vergangenen Jahrtausend anzuknüpfen;

als selbst auf US-Schneeboden (bei Olympia 1980 in Lake Placid) die Medaillenwertung gewonnen wurde;

als Russen, Ukrainer, Letten, Esten, Litauer, Kasachen, Georgier noch unter einer (sowjetischen) Flagge starteten;

und als Leonid Tiagatschew der zu dieser Zeit einzige freundliche Russen-Coach war.

Warum dieser Mann hier erwähnt wird?

Weil es Tiagatschew zuzuschreiben ist, dass die Sportwelt nach Sotschi blickt. Weil allein er es war, der Putin die Winterspiele in Russlands wärmster (und doch für Skisport sehr gut geeigneter) Region eingeredet hat.

Vierzig Jahre zuvor war Tiagatschew mit einem klapprigen Auto und drei schüchternen Athleten im Weltcup aufgetaucht. Als Gegenleistung für einige Paar Ski und g’schnorrte Rennanzüge brachte Leonid Kaviar eingewickelt in die Prawda mit. Mit Krimsekt wurde auf die ersten Erfolg von Valeri Tsyganow und Alexander Schirow angestoßen.

Plötzlich kam Leonid nicht mehr. Hinter vorgehaltener Hand erfuhren Harti Weirather, Leonhard Stock und Uli Spieß von den sowjetischen Rennfahrern, dass er beim Jeans-Schmuggeln am Moskauer Flughafen Scheremetowo II erwischt worden sei.

Erste Mitte der 80er-Jahre durfte Leonid, diesmal als Damen-Trainer, wieder ausreisen. Dank politischem Tauwetter schien für ihn auf einmal die Sonne. Zuerst wurde er Minister, später Olympia-Präsident und Putins engster Vertrauter. Der sprachgewandte Leonid war es auch, der Karl Schranz mit Putin bekannt machte und der dafür sorgte, dass die Familie des obersten Russen klammheimlich etliche Winter in Schladming Skiurlaub machte.

Leonid Tiagatschew muss aber nicht nur begnadeter diplomatischer Slalomfahrer, sondern ein ebenso schlauer Skicoach gewesen sein. Denn unter ihm feierten nicht nur Tsyganow und Schirow, sondern später auch Swetlana Gladischewa und Warwara Zelenskaja Weltcupsiege.

Ohne ihn reichte es in Sotschi bisher nur zu den Alpin-Rängen 26, 35, 26, 24, 30, 28, 30, 14, 23. Und das, obwohl der Rubel ungleich kräftiger als einst zu Leonids Trainerzeiten in den Skisport rollt.