Meinung/Kolumnen/Tagebuch

Der lange Atem der Wettmafia

Zumal den Spielern bewusst sein dürfte, dass 36 Kameras jede kleine Sünde aufdecken

Wolfgang Winheim
über mögliche Spielmanipulationen bei der WM

Auch als Zaungast lässt sich’s während der WM mit Rekorden prahlen. Der ORF jubelt mit einer Million Seher über seine bisher höchste Quote bei einer WM-Eröffnung. Der ÖFB meldet über 30.000 verkaufte Dreier-Abos für die EM-Quali-Spiele gegen Schweden, Montenegro und Russland.

Damit sich Österreichs Nationalelf bei der nächsten Endrunde nicht wieder mit der Zuseherrolle begnügen muss, wird sich Teamchef Marcel Koller nicht auf den TV-Eindruck verlassen, sondern bei den Russen und deren (mit 8,28 Millionen Euro Jahresgehalt bestbezahltem) WM-Coach Fabio Capello vor Ort spionieren: Am Dienstag in Cuiabá bei RusslandSüdkorea. Am 22. Juni in Rio, wenn die einzige legionärslose WM-Elf auf Belgien trifft. Und am 26. in Curitiba bei AlgerienRussland.

Am Sonntag düst Koller Business Class nach Brasilien, während David Alaba in der Kabine der Austria-Akademie eine Spielerbesprechung hält. Für die Finalisten eines landesweiten Schüler-Championats.

Das größte österreichische U-12-Turnier, für das Alaba seinen Urlaub unterbricht, wird von Coca-Cola finanziert. Stars und Teamchef kommen, wenn Sponsoren rufen. Also war’s für Koller auch Ehrensache, einen Abend lang das tipp3-WM-Fest (das mit einem Sieg seines Co-Trainers Thomas Janeschitz in einem Geschicklichkeitsbewerb begann) an der Alten Donau durch seine Anwesenheit aufzuwerten und den 100 geladenen Gästen vom Podium herunter zu sagen,

dass die Russen jeden Gegner schlagen, an einem schlechten Tag aber auch gegen (fast) jeden verlieren können;

und dass er von seinen Schweizer Landsleuten ein Überstehen der Vorrunde erwarte – "obwohl sie im Angriff ähnliche Probleme haben wie wir".

Noch lange vor Beginn der WM-Übertragung, als Hostessen tipp3-Wettscheinen herumreichten und von einem Elfergeschenk für Brasilien noch keine Rede sein konnte, dachte der Ex-Internationale Günter Kaltenbrunner nicht ganz unüberhörbar über seine Sorgen mit der asiatischen Wettmafia nach. Mehr noch: Er schließt keineswegs aus, dass es bei der WM "zumindest bis zum Achtelfinale" zu Spielmanipulationen kommt. Eine Meinung, die der Schreiber dieser Zeilen nicht teilt. Zumal den Spielern bewusst sein dürfte, dass 36 Kameras jede kleine Sünde aufdecken. Deshalb klingt’s eher populistisch als realistisch, dem japanischen Referee Nishimura zu unterstellen, er habe im FIFA-Auftrage Brasilien bevorteilt.

Andrerseits: Der ehemalige Rapid-Internationale und spätere Rapid-Präsident Kaltenbrunner, 71, ist Vorstand des Fair-Play-Code. Diese Vereinigung beschäftigt sich hauptamtlich mit dem Kampf gegen den Wettbetrug. Kaltenbrunner und seine Crew werden dafür am 6.Oktober in Riga erstmals mit dem europäischen Fair-Play-Award ausgezeichnet. Kaltenbrunner weiß somit, wovor er warnt, wovon er spricht.