Meinung/Kolumnen/Tagebuch

Bittere Pillen

Und schließlich darf der ÖSV nicht eine ganze wunderbare Sportart für ein schwarzes Schaf büßen lassen

Wolfgang Winheim
über Dopingsünder Johannes Dürr

Mit Silber und Gold hatten die 22. Winterspiele für Österreich begonnen, mit einem Skandal endeten sie: Die finale österreichische Medaillenhoffnung zerplatzte schon vor dem Start des 50-Kilometer-Bewerbs.

Langläufer Johannes Dürr flog bei der Dopingkontrolle auf. Derselbe Mann, der noch am 28. Jänner ins Mikrofon von Sky Sport News gesagt hatte:

"Ich hoffe, dass der Langlaufsport jetzt schon sehr sauber ist. Die Kontrollen sind schon wahnsinnig intensiv. Also ich hatte heuer seit Juni bereits 13 Kontrollen. Jetzt gibt es den neuen Blutpass. Das geht alles in die richtige Richtung, und ich glaube, wir gehen einen Weg, wo man Doping so weit wie möglich – also ganz kann man das nie ausschließen – so weit wie möglich eindämmen kann."

Dass Sportler mit treuherzigem Augenaufschlag lügen, bis sich die Langlauflatten oder die Rennradrahmen biegen, ist nicht neu. Immerhin spielt der ertappte Dürr jetzt nicht auch noch – wie so viele andere Sünder vor ihm – das Unschuldslamm. Er gesteht die Einnahme des verbotenen Mittels EPO.

Der 26-jährige Niederösterreicher wird aus dem ÖSV ausgeschlossen. Ski-Präsident Peter Schröcksnadel kündigte in der ersten Emotion an, er werde den Langlauf vom ÖSV ausgliedern und den Geldhahn zudrehen lassen.

Das wird natürlich nicht geschehen. Schließlich bewirbt sich Österreich um eine Nordische WM. Und schließlich darf der ÖSV nicht eine ganze wunderbare Sportart für ein schwarzes Schaf büßen lassen.

Dürr ist auf dem Schneeboden zerstört. Nicht einmal mit einer Bronze- oder Silbermedaille hätte er so einen Bekanntheitsgrad erreicht wie den, den er sich mit dem Doping-Vergehen einhandelt. Zumal negative Schlagzeilen viel länger in Erinnerung bleiben.

Auf den Langläufer kommen ähnlich dürre Zeiten zu wie auf den in den Wettskandal involvierten Fußball-Profi Dominique Taboga. Auch er darf seinen Beruf nicht ausüben. Auch er wird selbst für andere Branchen schwer vermittelbar, weil er dazu – im Gegensatz zu manchem Gewaltverbrecher oder Millionenbetrüger – viel zu sehr in den Fokus öffentlicher Wahrnehmung geriet.

Diese Erkenntnis darf keineswegs als Entschuldigung interpretiert werden. Mitleid ist erst recht keine Lösung. Dürr und Taboga haben betrogen. Und sich selbst am meisten geschadet.

Der Langläufer, der sich täglich stundenlang für den Erfolg quälte und lange Zeit keinen Sponsor fand, ist schuldiges, charakterschwaches Opfer einer Leistungsgesellschaft, die sich selbst hinterfragen muss.

Nicht auszudenken, gäbe es auch vor Bühnenauftritten oder Wahlkämpfen für gestresste Politiker oder Popstars Dopingkontrollen wie im Sport. Ja, der Schreiber dieser Zeilen kannte Top-Journalisten, die morgens Aufputschmittel schluckten, am Abend Schlaftabletten nahmen und dazwischen brillante Artikel gegen Dopingsünder schrieben.

Nochmals: Das Vergehen des Langläufers kann nicht bagatellisiert werden. Nur wäre es für uns Moralapostel Zeit, vor den eigenen Türen zu kehren.