Gegenwartsflucht
Die Oper ist drauf und dran, sich den gesellschaftspolitischen Boden selbst wegzuziehen.
über die Musealisierung der Oper
Im ORF war am Ostermontag zu sehen, was live einer kleinen betuchten Schar vorbehalten war: Eine Aufführung von Mascagnis "Cavalleria rusticana" im Salzburger Festspielhaus. Dass der dazugehörige Zwilling, Leoncavallos "I Pagliacci", aus vertraglichen Gründen nicht gezeigt wurde, ist schade. 3SAT strahlt am Samstag beide Werke aus.
Bei "Cavalleria" hörte man, sofern man das aus Fernsehkastln überhaupt hören kann, ein fabelhaftes Dirigat von Christian Thielemann, eine intensive Santuzza (Liudmyla Monastyrska), einen genialen Alfio (Ambrogio Maestri) und einen Turridu (Jonas Kaufmann), der mehr nach Bariton denn nach Tenor klang. All das begab sich in einer ästhetischen Inszenierung von Philipp Stölzl, die mit Mitteln des Schwarz-Weiß-Films operierte und von vielen Kritikern gelobt wurde. In der Zeit jedoch endete die Rezension mit dem Gedanken: "Was geht uns das alles an, von Sex und Liebe abgesehen? Auch dafür, dass diese Frage nicht gestellt wurde, hat sich das Festspielpublikum begeistert bedankt."
Bei anderen Osterfestspielen, jenen in Baden-Baden mit den Berliner Philharmonikern, wurde "Der Rosenkavalier" gegeben. Da urteilte der Zeit-Kritiker: "Beliebigkeit ist jedenfalls keine Lösung. Was für eine vertane Chance." Und das Fazit von Daniel Barenboims Oster-"Parsifal" in Berlin: "Ein weiterer Beleg für die Gegenwartsflucht, die das Musiktheater angetreten hat." Nun ließen sich zahlreiche Gegenbeispiele benennen für Produktionen, die das alte Genre im Heute verankern. Aber die Tendenz ist leider klar: Die Oper ist drauf und dran, sich den gesellschaftspolitischen Boden, der sie auch subventionsmäßig nährt, selbst wegzuziehen. Sie droht an Relevanz zu verlieren und gibt sich allzu leicht mit hoher Auslastung und zahlungskräftigen Connaisseuren zufrieden. Risiko wird entweder aus Überzeugung vermieden oder mit dem Verweis auf ökonomische Unsicherheiten. Die Gefahr, dass Oper endgültig museal wird, ist enorm groß. Dabei verlangt die größte und teuerste theatralische Form geradezu nach ständig neuen Interpretationen.