Meinung

Dezember

Also packte uns meine Mutter in Winterjacken und lud uns in ihren alten Fiat Ritmo.

Barbara Kaufmann
über den Dezember

Der Dezember ist da und mit ihm die Dunkelheit. Nachmittags um halb fünf ist es finster in der Stadt und am Stadtrand steigt der Nebel auf zwischen den Neubausiedlungen, die mich an meinen Heimatort erinnern, unten im Süden. „Komm“, sagt meine Freundin, „gehen wir raus.“

Wir schlendern durch die Straßen der Innenstadt, gerade so schnell, dass wir nicht frieren und wie wir an den vielen Geschäften vorbeikommen mit den weihnachtlich dekorierten Schaufenstern, muss ich an den Dezember in meiner Kindheit denken. Damals als wir noch in einer kleinen Wohnung in der Vorstadt lebten. Zu fünft, im vierten Stock eines grauen Wohnblocks mit Blick auf die Hauptstraße und einer Nachbarin unter uns, die keine Kinder mochte. Vielleicht mochte sie andere Kinder, die nicht über ihr wohnten und nachmittags im Wohnzimmer spielten, wenn es draußen früh dunkel und kalt wurde. Uns jedenfalls nicht. Sobald wir laut lachten, durch das Zimmer liefen und die Spielzeugautos über den grünen Teppichboden fahren ließen, läutete es an der Tür. Da stand sie. Aufgebracht, schwer atmend, weil sie die Stufen zu uns hinauf laufen musste, mit vorwurfsvollem Blick. „So geht das nicht“, sagte sie immer zur Begrüßung und sie roch nach süßem schwerem Parfüm, „bei mir wackelt das Porzellan.“ Und bis heute frag ich mich, was das sein soll. Wackelndes Porzellan. Anfangs hatte meine Mutter noch versucht, mit ihr zu verhandeln. „Es tut mir leid, es sind eben kleine Kinder.“ Aber die Nachbarin hatte keine Kinder und erst recht kein Verständnis für sie. Dafür hatte sie die Telefonnummer der Hausverwaltung, von der sie großzügig Gebrauch machte.

Auslagen schauen

Also packte uns meine Mutter in Winterjacken, lud uns in ihren alten Fiat Ritmo und wir fuhren in die Stadt. „Auslagen schauen.“ Hand in Hand stapften wir durch die festlich beleuchtete Fußgängerzone, vorbei an den Spielzeugläden, Boutiquen und Geschäften und malten uns aus, was wir alles kaufen würden. Wenn wir könnten. Meine Mutter erklärte uns dann, dass es zu Weihnachten nicht um Geschenke ging, sondern ums Geben, Teilen, Zusammensein. Sie war immer ein hoffnungsloser Hippie gewesen, sie ist es heute noch. Zum Abschluss kaufte sie uns eine Tüte Maroni, die wir im Auto untereinander aufteilten. Manchmal fanden wir die Schalen Monate später zwischen den Sitzen, im Sommer, am Weg zum See.

Während wir nach Hause fuhren, zurück in die Vorstadt, sprach sie vom Konsumwahn, der offenbar etwas Schlechtes war, weil er Weihnachten zerstörte. Und ich nahm mir vor, etwas gegen ihn zu unternehmen. Später, wenn ich selbst Kinder haben würde, mit denen ich an Auslagen vorbeispazieren würde in der Weihnachtszeit.

All das ist mir eingefallen während ich mit meiner Freundin durch die Wiener Innenstadt gegangen bin. Ich habe keine Kinder und Weihnachten ist mir auch nicht mehr so wichtig wie damals. Trotzdem muss ich bei jedem Maronistand, an dem wir vorbeikommen, an meine Mutter denken. Und als wir uns am Rückweg eine Tüte teilen, meine Freundin und ich, steck ich die Schalen in meine Manteltasche. Vielleicht finde ich sie ja in eine paar Monaten, wenn es draußen wieder heller ist und wärmer. Und denk zurück an den Dezember und die Dunkelheit.

barbara.kaufmann@kurier.at