Meinung

Grüner Minimalismus vs. altes Ego

"Ein Debakel, eine schwere Niederlage, der schwärzeste Tag in der Parteigeschichte." Das ist 714 Tage her. "Schnee von gestern", sagen die Grünen heute über den verhängnisvollen 15. Oktober 2017, an dem sie mit 3,8 Prozent aus dem Nationalrat geflogen sind. Am heutigen Wahlabend wird das Fazit deutlich besser ausfallen - die Erwartungen sind nach den Umfragen zuletzt hoch.

Die Grünen bemühten sich landauf, landab sehr, die Erwartungen zu dämpfen. "Gerannt" wurde bis zum Schluss, "wählt die Grünen wieder rein" war die Parole - die so klingen sollte, als wäre das alles gar nicht so sicher.

Und sie wagten auch nicht, laut über den Wahltag hinauszudenken. Regierungsbeteiligung? Werner Kogler winkte ab. "Reinkommen" wollen sie in den Nationalrat - und zwar "stark. "Sonst bin ich morgen zurückgetreten", richtete er seiner Partei - und auch den Wählern - noch bei seiner Stimmabgabe heute Vormittag aus.

Nun ist es nicht so, als hätte Kogler nie mit dem Gedanken gespielt, Vizekanzler zu werden. Und bestimmt hat er gerechnet, ob sich eine schwarz-grüne Mehrheit ausgeht. Er lässt es sich nur nicht anmerken. Denn er weiß: Ein übergroßes Ego, dieses "zu viel wollen", kommt nicht gut.

Zu viele Themen, zu viele Forderungen, zu viel erhobener Zeigefinger - mit der Attitüde haben die Grünen vor knapp zwei Jahren einen gewaltigen Bauchfleck hingelegt.

Kogler, der die Partei danach wieder aufgebaut hat, legte den Wahlkampf sehr reduziert an, die Slogans waren knackig, der social-media-Auftritt frech. "Zurück zu den Wurzeln", kein Schnickschnack, Understatement.

Und Kogler richtete der Basis immer wieder - sinngemäß - aus: Wenn euch mein Weg nicht passt, schleich ich mich wieder.

Mit dieser leisen Drohung und mit der Gewissheit, dass es sonst niemanden gibt, der die Partei zum Sieg führen kann, hat er den ganz linken Flügel seiner Partei, die Partout-Standpunkt-Truppe - allen voran die Wiener - recht gut im Griff gehabt. Querschüsse, Sonderwünsche, Abweichler gab es im Wahlkampf nicht. Diese Einigkeit, verbunden mit dem Top-Thema Klima hat funktioniert.

Nun kommen die Grünen nicht nur stark zurück, sondern vielleicht auch in die Regierung. Mit einem Top-Ergebnis erhöht sich aber die Gefahr, wieder in die alten Muster zu fallen.

Essentiell wird sein, dass Kogler seine Truppe im Griff hat, sich pragmatisch und kompatibel zeigt, ohne sich an Türkis anzubiedern, wenn es an die Sondierungsverhandlungen geht und darüber hinaus. Abzuwarten bleibt, ob die "Erneuerung" der Partei, die er auf den Weg gebracht hat, anhält. Oder ob er sich dann doch noch schleicht.