Gleiten statt hetzen auch im Miteinander
Von Georg Leyrer
Nichts ist schneller als das Licht, sagen die Physiker, und das stimmt für die Welt da draußen, aber nicht für das menschliche Zusammenleben. Denn das Licht kriecht geradezu im Schneckentempo dahin, verglichen mit der nahezu unmessbaren Geschwindigkeit, mit der jedes Ereignis, jede halb gare Schlagzeile der eigenen Meinung untergeordnet wird. Nirgends – weder bei der mit viel zeitlichem Aufwand bejammerten Smartphoneabhängigkeit noch beim hochdigitalisierten Arbeitsstress – ist Entschleunigung notwendiger als in diesem Meinungswettrennen.
Denn wer immer gleich zu wissen glaubt, wie etwas einzuordnen ist, stülpt einer komplizierten Welt ein viel zu einfaches Gerüst über. Ein Politskandal? Na klar, die Linken/Rechten. Ein Satz, der mir nicht passt? Typisch Emanze/alter weißer Mann. Oder: Grenzen dicht/auf!
Und so weiter, in einem endlosen Strom an Vorurteilen. Genau aus diesen so falschen wie einzementierten Gegensätzen wird in permanentem Höllentempo das Gift gebraut, das die Demokratie und unser Zusammenleben derzeit chronisch krank macht.
Gleiten statt hetzen, hieß es einst bezüglich des Autoverkehrs, und im gesellschaftspolitischen Sinn entwickelt das eine schöne Doppelbedeutung. Denn je langsamer man im Meinungsstrudel unterwegs ist, desto deutlicher sieht man: Hinter jeder vermeintlichen Gewissheit lässt sich eine komplexe Geschichte entdecken. Und je genauer man hinsieht, desto unsicherer wird man, desto durchlässiger wird die Weltsicht. Aus diesem Gefühl heraus – vielleicht ist es doch anders? – wird es plötzlich ganz leicht, jemanden zu verstehen, der anderer Meinung ist. Das Bremspedal ist das in der Mitte.