Gewissens-Bisse
Von Simone Hoepke
Fleisch ist im Handel ein klassischer Lockartikel, womit das Problem auch schon skizziert ist: Der typische Konsument kauft, was billig ist. Selbst wenn er in Umfragen gerne etwas anderes behauptet und von Regionalität und Freilauf für Huhn, Schwein und alle Tiere am Bauernhof schwadroniert. In seinen Einkaufswagen legt er letztlich eher die Packung mit dem Prozente-Pickerl als jene mit dem Bio- oder Tierwohlsiegel. Das belegen die Verkaufszahlen.
Auch der Gesetzgeber ist in Sachen Tierschutz tendenziell janusgesichtig. Auf der einen Seite schreibt er die strengsten Tierschutzgesetze innerhalb der EU fest. Hennen haben hierzulande von Gesetzes wegen um 40 Prozent mehr Platz im Stall als ihre Artgenossen jenseits der Landesgrenze, bei Puten sind es sogar 75 Prozent.
Doch auf der anderen Seite sollen Küchen-Chefs von öffentlichen Einrichtungen den Sparstift spitzen, wenn sie Lebensmittel für die Großküchen in Krankenhäusern oder Kindergärten einkaufen. Da gilt dann schnell das Billigstbieterprinzip, bei dem Tierwohlstandards großzügig ausgeblendet werden. Heimische Anbieter sind in diesem Spiel oft schneller aus dem Rennen, als sie "Ausschreibung" buchstabieren können. Den Zuschlag bekommen Mitbewerber aus dem Ausland. Das kann man auch in der Statistik ablesen. Der Selbstversorgungsgrad Österreichs bei Geflügel ist deutlich gesunken. Die Zeche für die Billigware zahlen letztlich die Tiere in den Tierfabriken sowie die Billigarbeiter in Schlachthöfen und Verarbeitungsbetrieben.
Der Corona-Ausbruch in einer deutschen Schlachthof wirft jetzt ein Schlaglicht auf eine Branche, die sonst von Verbrauchern gerne ausgeblendet wird. In Deutschland kocht die Debatte über die Arbeitsbedingungen hoch, die Politik sieht plötzlich "dringenden Handlungsbedarf" und will "in Kürze" die Regeln für die Branche verschärfen.
Als gelernter Österreicher kann man sich nicht – stolz auf die hierzulande hohen Tierschutzstandards – zurücklehnen. Diese helfen wenig, wenn letztlich Tierleid in Schnitzelform importiert wird. Allein von Tönnies-Schlachthöfen gingen laut Expertenschätzungen zig Tausende Tonnen Fleisch im Jahr nach Österreich. Die Schuld können Konsumenten nicht an Wirte und Händler abschieben. Letztlich bieten diese an, was die Kunden kaufen.
Österreich spielt übrigens mit einem jährlichen Fleischkonsum von 65 Kilogramm pro Kopf in der europäischen Top-Liga mit. Der prototypische Österreicher hat fünfmal die Woche Fleisch auf dem Teller. Zu oft, sagen nicht nur Tier- und Umweltschützer, sondern auch die Weltgesundheitsorganisation WHO.
Sie empfiehlt maximal drei Portionen in der Woche.