Meinung/Gastkommentar

Wie die Automobilbranche die Zukunft vergeudet

Die europäische Automobilbranche, einst ein Symbol wirtschaftlicher Stärke und Innovationskraft, steht vor einer der tiefgreifendsten Transformation ihrer Geschichte. Auch heimische Unternehmen, stark abhängig von der deutschen Automobilbranche, bleiben von der Krise nicht verschont. Stellenabbau und Produktionsrückgänge zeichnen ein Bild der Unsicherheit. Doch diese Krise birgt auch Chancen – für jene, die sie richtig interpretieren.

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Die Automobilbranche steht nicht nur durch technologische Umbrüche und den Anforderungen an nachhaltige Mobilität unter großem Druck, sondern auch vor multiplen Richtungsentscheidungen: Elektroautos inklusive Ladeinfrastruktur, alternative Kraftstoffe wie Wasserstoff, autonomes Fahren und „Mobility as a Service“-Angebote, Intermodalität zwischen diversen Mobilitätsanbietern, Überbrückung von Stadt-Land-Widersprüchen: Alles scheint gleichermaßen wichtig. Was fehlt, ist eine klare Richtung.

Diese Pluralität der Möglichkeiten ist eine ungewohnte Situation für eine Branche, die bislang auf klaren Erfolgspfaden wandelte. Statt proaktiv Zukunftsbilder zu entwickeln, reagieren viele nur auf Krisensymptome – oft zu spät. Die derzeitige Lage zeigt: Wer nicht zukunftsorientiert handelt, wird langfristig den Anschluss verlieren. Die Devise lautet demnach: Transformation, jetzt erst recht!

Um diese erfolgreich zu meistern, muss die Branche offener werden für neue Synergien. Neue Kollaborationen treiben Technologien voran und ermöglichen die Diversifizierung von Geschäftsmodellen. Die Automobilindustrie ist nicht mehr ausschließlich eine Auto-Industrie. Software und die richtige Nutzung von Daten sind genauso künftige Umsatztreiber wie die Schaffung neuer Dienstleistungen zur Erhöhung der mobilen Lebensqualität. Der Schlüssel dafür sind echte Partnerschaften – von der Lieferkette bis zum Kundenerlebnis.

Auf die Frage: „Wohin soll sich die Branche bewegen?“ gibt es derzeit keine eindeutige Antwort. Dieser fehlende Richtungssinn macht dem klassischen Management zu schaffen. Auf die Entwicklung von eigenständigen Zukunftsbildern ist man nicht trainiert. Stattdessen hinkt man – siehe Tesla – den Visionen anderer hinterher. Es liegt also mehr denn je an den Unternehmen selbst, klare Zukunftsbilder zu entwickeln. Ein „Weiter wie bisher“ ist keine Option.

„Zukunft nicht vergeuden“ sollte zum Leitsatz der Branche werden. Es bedeutet, selbst zu definieren, welche Rolle man in einer zunehmend digitalen, nachhaltigen und vernetzten Mobilitätswelt einnehmen will. Mit einem Fokus auf Innovation, Kooperation und nachhaltigem Wachstum kann die Automobilbranche nicht nur ihre aktuelle Krise bewältigen, sondern auch neue Erfolgsgeschichten schreiben.

Harry Gatterer ist Future-Management-Experte und CEO des Zukunftsinstituts.