Wahlprogramme: Stagnation auf mehr als 600 Seiten
Österreich robbt gerade durch die längste Wirtschaftsflaute seit dem Zweiten Weltkrieg. Acht Quartale in Folge ohne nennenswertes Wachstum; ein Ende der Malaise ist dieses Jahr nicht in Sicht. Das war Ihnen nicht bewusst? Natürlich nicht. Die postmoderne soziale Marktwirtschaft hat uns derart in Luftpolsterfolie gepackt, dass wir die Konjunktur nicht mehr spüren. Trotz Rezession steigen die Reallöhne. Die Arbeitslosenquote liegt bei gut fünf Prozent und damit dort, wo sie im Mittel der letzten 30 Jahre eigentlich immer lag. Ob gerade Aufschwung oder Rezession ist, erfährt man bestenfalls aus der Zeitung.
Nun ist es ja zu begrüßen, dass wir den Gürtel nicht mehr enger schnallen müssen, nur weil bei den Unternehmen mal die Aufträge ausbleiben. Doch wenn die Menschen anfangen zu glauben, die Wirtschaftslage habe mit ihnen nichts mehr zu tun, dann werden die Parteien anfangen zu glauben, sie müssten sich keine Gedanken mehr über Wirtschaftspolitik machen. Wenn alles andere wichtiger ist als die Quellen unseres Wohlstands, dann werden sie sich lieber bei Migration oder Klima austoben, statt darzulegen, wie sie den Standort zu stärken gedenken.
Und so ist es nicht verwunderlich, dass auf über 600 Seiten Wahlprogramm von Wirtschaftswachstum kaum die Rede ist. Die ÖVP gibt sich zwar willig, hinterlässt aber haarsträubende Wachstumszahlen und eine leere Staatskasse. Wer will ihr Reformvorhaben abkaufen, wo sie doch seit 37 Jahren auf der Regierungsbank sitzt? In die Glaubwürdigkeitslücke stößt die FPÖ, doch hinter dem neuen wirtschaftsliberalen Anstrich herrscht derselbe dumpfe Isolationismus wie eh und je. Dass wenigstens die Neos auch unter der Oberfläche wirtschaftsliberal sind, bleibt nur zu hoffen; denn hinter klangvollen Überschriften bleibt das Programm eher vage. Die Parteien weiter links scheinen gar kein Wachstum zu wollen: Die SPÖ verteilt einen schrumpfenden Kuchen um; die Grünen machen in „beyond growth“.
Österreich muss sich wandeln. Wer eine der höchsten Abgabenquoten der Welt hat, der muss fiskalischen Spielraum für milliardenschwere Entlastung schaffen. Ein bisschen Rotstift hier und da reicht längst nicht mehr. Ausgabenbremse im Verfassungsrang, Pensionsreform, Föderalismusreform – das wären schon eher die notwendigen Kaliber, damit vor allem die Belastung des Faktors Arbeit massiv gesenkt werden kann. Am besten gleich mit einer Flat Tax, damit sich Vollzeitarbeit wieder auszahlt. Für alle, die es etwas etatistischer mögen, gibt es übrigens eine Alternative: Auch die Dänen haben eine Abgabenquote von knackigen 44 Prozent. Doch sie haben seit vielen Jahren ein glücklicheres Händchen beim Geldausgeben. Sie sind führend beim Thema E-Government und unterhalten das progressivste Sozialsystem der Welt. Ein gewaltiger Staatsfonds füttert heimische Start-ups mit Kapital. Die Wachstumszahlen geben den Dänen recht. Mit Novo Nordisk ist das wertvollste Unternehmen Europas ein dänisches.
Man nennt das wohl Good Governance. Wäre auch eine Idee für den 29. September.
Jan Kluge ist Ökonom beim wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria