Meinung/Gastkommentar

Orbáns Reisen: Ist über Frieden reden ein Verbrechen?

Die Ratspräsidentschaft Ungarns begann mit einem Paukenschlag. Viktor Orbán spricht in Moskau mit Putin und bricht damit ein Tabu der EU. Die Reaktion der europäischen Staatenlenker darauf ist durchaus mit einer berühmten, erfundenen Habsburger-Anekdote vergleichbar. Darf er denn das? Dabei hat Orbán selbst erklärt, dass seine Gespräche nur dazu dienen, die Positionen beider Seiten aus erster Hand zu erfahren und Gesprächskanäle für eine friedliche Lösung zu öffnen. Was soll daran falsch sein?

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Die EU zeigt, dass sie ihren Gründungsgedanken aus den Augen verloren hat. Die Väter der EU wollten Europa zu einem Kontinent des Friedens machen. Nach dem Ende des Kalten Krieges schien dieses Ziel erreichbar. Mit der Charta von Paris war der Grundstein für ein sicheres Europa von Lissabon bis Wladiwostok gelegt. Warum es nicht so gekommen ist, wird noch Generationen von Historikern beschäftigen. Der Westen sieht die Schuld ausschließlich bei Russland. Die Wahrheit hat aber viele Facetten. Trotz des Krieges in der Ukraine bleibt die Gewissheit, dass dauerhafte Sicherheit in Europa nur möglich ist, wenn es zu einem Ausgleich der Interessen mit Russland kommt.

Es ist die Kunst der Politik, den Zeitpunkt zu erkennen, wann die Waffen schweigen müssen und die Diplomatie zur friedlichen Lösung des Konfliktes aufgerufen ist. Eine Fortführung des Krieges führt nur zu Verlusten von Menschenleben und zur weiteren Zerstörung der Ukraine. Auch der wirtschaftliche Schaden für Europa wird ins Unermessliche wachsen. Orbán ist offensichtlich überzeugt, dass der Zeitpunkt der Diplomatie gekommen ist. Mit seiner Haltung schwimmt er gegen den Strom, aber nur so kommt man zurück zum Ursprung. Kein Konflikt kann dauerhaft gelöst werden, ohne die Ursachen zu beseitigen.

Was könnte Österreich tun? Als wir der EU beigetreten sind, hat Außenminister Alois Mock erklärt: Die Neutralität ist Österreichs Beitrag zur Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit in Europa. Wir könnten nun Mocks Versprechen einlösen. Die überwiegende Mehrheit der Österreicher ist für die Beendigung des Krieges und einen Waffenstillstand. Warum nicht Orbán und Verhandlungen unterstützen? Mit Russland kann man nicht verhandeln, schallt es uns täglich an das Ohr. Haben wir mit dem Staatsvertrag nicht bewiesen, dass man mit Russland verhandeln kann?

Wien war schon einmal der Ort eines Kongresses, der Europa hundert Jahre Frieden bescherte. Es ist wieder Zeit für eine Gesamteuropäische Friedenskonferenz. Die OSZE erfüllt alle Voraussetzungen, einen Friedensprozess in Gang zu setzen. Der mutige Schritt Orbáns darf nicht versanden. Jetzt ist der Zeitpunkt, Wien als Ort der Begegnung für die Nationen Europas wiederzubeleben und die engagierte Neutralität Österreichs im Dienste des Friedens zu nutzen.

Günther Greindl, General i.R., ist Präsident von Aufbruch-Österreich, war erster Militärrepräsentant Österreichs bei EU und NATO.